Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
bis morgen früh haben sie jedenfalls Ruhe, zumal – Kondome gibt es genug! Die Frau zieht sich aus, sie dagegen lassen sich Zeit damit, richten sich irgendwie ein auf dem Sofa für das Personal, zu dritt, plus sie natürlich, bauen eine merkwürdigeKonstruktion, in deren Mitte sie als Herz schlägt, und gerade kommen sie in Fahrt, gerade hat sich die Frau an den Geschmack der Kondome und an ihre etwas unrhythmischen Bewegungen gewöhnt, da explodiert draußen etwas, eine Granate, so daß die Scheiben zersplittern und im Schein der Lampen Staub aufwirbelt; da fällt ihnen plötzlich die Kolonne aus Zigeunerbussen ein, vollgestopft mit japanischen – wie die Zigeuner behaupten – Fernsehgeräten ohne Bildröhren, sie erinnern sich plötzlich, was für böse Blicke die Zigeuner, die sie hier bereits seit drei Tagen schmoren lassen, ihnen gestern abend zugeworfen haben, verstehen plötzlich den Sinn der unverständlichen Flüche und offiziellen Einsprüche, die die Zigeuner in Richtung lieber Gott und polnische Regierung geschrien haben; hastig ziehen sie sich also aus ihr heraus, der letzte besonders hastig und schmerzhaft, sie schreit auf, aber niemand beachtet sie mehr – die Polen laufen auf die Straße und versuchen dabei, ihre Kleider in Ordnung zu bringen, die Frau läuft ihnen nach, und die erste beste Kugel zerschmettert ihr rechtes Knie, sie fällt auf den Asphalt, auf den kalten polnischen Asphalt, der so frisch und so unwirtlich ist, einige Stunden später wird sie von ukrainischen Ärzten abgeholt, einige Monate später fängt sie an zu laufen – erst an Krücken, dann – ihr ganzes Leben lang – am Stock, ohne es je in ein echtes westliches Bordell geschafft zu haben, von der Jagiellonen-Universität ganz zu schweigen.
Dein ganzes Leben ist ein Kampf gegen das System. Wobei du, Scheiße auch, zwar mit ihm kämpfst, das System dich aber gar nicht bemerkt. Sobald du es auf der Straße anhältst und ihm alles ins Gesicht sagen willst, was du denkst, dreht es sichdemonstrativ weg und fragt einen zufälligen Passanten nach der Uhrzeit, dein ganzes Pathos läuft damit ins Leere, und du bleibst allein mit deiner Empörung. Warum errichten sie Wälle und Verteidigungsanlagen vor mir, warum machen sie es mir unmöglich, mit ihnen zu kommunizieren, wozu brauchen sie meine Verzweiflung, verschafft ihnen das wirklich Befriedigung? Entsetzliche mittelalterliche Prozessionen, grausame Schmugglerseelen, Haß und Verzweiflung der Kuriere und Karawanenführer, die versuchen, durch die uneinnehmbaren Grenzmauern zu brechen mit ihrem ganzen illegalen Zeug, ihrem ganzen illegalen Business, sie verstehen nicht, wieso sich in der warmen Augustweite solche Abgründe auftun, wer ihre Karawanen in reine und unreine aufgeteilt hat, ihre Seelen in fromme und sündige und, schließlich und endlich, ihre Visa in gefälschte und in echte Schengen-Visa?
Da fällt mir folgende Geschichte ein. Einer meiner Kommilitonen hatte sich verliebt, was ihm im Prinzip nicht oft passierte. Seine Freundin war Philologin, studierte Fremdsprachen, eine richtige Schlampe war sie, er aber wollte das nicht wahrhaben, mit einem Wort, er hatte sich verliebt. Da beschloß sie plötzlich, Schlampe eben, zu einem Sprachkurs nach Berlin zu fahren. Er brachte sie zum Bahnhof, versprach lange und leidenschaftlich, ihr treu zu bleiben, sie hörte gar nicht richtig hin, küßte ihn zum Abschied traurig und fuhr ab. Aus Verzweiflung fing er an zu saufen. Einen Monat später erzählte ihm jemand, daß sie in Berlin geheiratet hätte – verließ ihre heimatliche Universität, pfiff auf den Sprachkurs, suchte sich einen Italiener und heiratete ihn. Wonach er, wie sag ich das am besten – intensiver soff, einen ganzen Monat lang, die Prüfungen setzte er in denSand, riß sich dann aber plötzlich zusammen und ging zur Paßstelle. Laß das, sagte ich ihm, wohin willst du denn fahren, die Schlampe wird dich abblitzen lassen, er hörte aber nicht, sagte, daß ich sie nicht so nennen soll, sagte, daß er sie verstehen kann, was hätte sie denn machen sollen, erklärte er, sie ist halt eine unglückliche und verletzliche Frau, die die Trennung nicht ertragen hat, eine Schlampe ist sie, redete ich weiter auf ihn ein, aber er wollte nichts davon hören. Im August bekam er seinen Reisepaß und fuhr nach Polen.
Etwas ist passiert, etwas Furchtbares und Unvermeidliches, etwas hat sie dazu gebracht, untreu zu werden, dachte er, während er an der polnischen Grenze
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