Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
und machten Liebe, eine würdige Beschäftigung für zwei sorglose Menschen im endlosen August auf einem gottvergessenen Güterbahnhof. – Ich bin jetzt fünfundvierzig, – erklärte sie, – noch ein paar Jahre und ich werde alt, und dann wird all dies – Make-up, Silber, Kleidung – viel mehr für mich bedeuten, ich werde mich dahinter verstecken, werde diesen Sachen immer mehr Bedeutung beimessen, jetzt ziehe ich mich aus für dich und trage keine Unterwäsche, wenn du mich darum bittest, ich laufe den ganzen Tag so rum und weiß, daß du die ganze Zeit daran denkst, aber später ist das vorbei, ältere Frauen entwickeln eine Bindung an Gegenstände, eine Abhängigkeit von Gewohnheiten, die, wenn man jünger ist, nett und sympathisch wirken, widersprich mir nicht, du hast keine Ahnung, weißt nicht einmal, mit welcher Zahnpasta ich mir die Zähne putze, wären wir uns ein paar Jahre später begegnet, dann wäre das alles nicht passiert, verstehst du, ich hätte dir einfach nicht erlaubt, mich auszuziehen, weil der Mensch, wenn er sich in einem bestimmten Alter auszieht, nicht einfach nur seine Kleider verliert, sondern auch seinLeben. Und damit man es nicht endgültig verliert, erlaubt man niemandem, einen auszuziehen, so sehr man es sich auch wünscht, und obwohl das Leben weitergeht, verliert die Haut allmählich die Fähigkeit, auf fremde Berührungen zu reagieren, auf fremden Atem, jetzt verstehst du das natürlich nicht, es muß eine gewisse Zeit vergehen, und für mich wird das schmerzhafter sein als für dich. Was ist die Moral von der Geschicht? – wandte sie sich an ihn, aber er wußte nicht, was er darauf sagen sollte, also gab sie selbst die Antwort: – Was auch geschieht, versuche stets gleichzeitig mit ihr zu kommen, dann wird es vielleicht was mit euch.
Ende August kamen Grischa und Sawa, anfangs hatte Eva wenigstens noch ab und zu eine SMS geschickt, dann aber das Schreiben ganz eingestellt, nicht daß die Brüder sich Sorgen gemacht hätten, aber Tamara saß ihnen auf der Pelle, also packten sie und kamen im BMW , den sie Vater Lukitsch abgekauft hatten. Sie fanden ihren Freund, den Stationsvorsteher, der Vorsteher sagte, mit dem Kleinen ist alles in Ordnung, die Fracht aber ist immer noch nicht angekommen, und die Flachwaggons stehen leer herum, es wäre besser, sie wegzuschaffen aus diesem Sündenpfuhl, auch den Kleinen würde man besser wegzuschaffen aus diesem Sündenpfuhl, die Brüder wurden hellhörig und gingen ihre Flachwaggons suchen. Endlich fanden sie den Liegewagen, stiegen ein und liefen den Korridor entlang, stießen eine Abteiltür nach der anderen auf. Im dritten Abteil entdeckten sie Iwan, Eva lag auf ihm und rauchte eine Belomor. Grischa erstarrte in der Tür. Hinter seinem Nacken rückte Sawa auf, du Hurensau, rief er, du Schlampe, was hast du mit dem Kleinen gemacht, er packte Eva an den Haaren und zerrte sie zum Ausgang.Iwan wollte sich auf ihn stürzen, aber Grischa schleuderte ihn zurück auf die Liege, los, Kleiner, – sagte er, – zieh dich an – wir fahren nach Hause. Iwan zog sich schnell an, Grischa überwachte ihn, schneller, drängte er, endlich hatte Iwan die Schuhe an und sprang aus dem Abteil. Grischa hinterher. Neben dem Waggon gab Sawa Eva gerade mit seinen Salamander-Schuhen den Rest, sie lag auf dem roten Eisenbahngras und schützte ihren Kopf mit den Händen, Sawa zielte aber gar nicht auf den Kopf, er trat sie hauptsächlich in den Bauch, was machst du? – kreischte Iwan, aber Grischa packte ihn am Hals, nur die Ruhe, Kleiner, – sagte er, schaute aber doch etwas erschrocken auf seinen Bruder, – nur die Ruhe, er weiß, was er tut, aber Grischa hatte so etwas offenbar selbst nicht erwartet. Sawa versetzte Eva noch einen letzten Tritt, dann beugte er sich hinunter und wischte mit Gras das Blut von seinen Schuhen. – So eine Hurensau, – sagte er, – die Salamanderschuhe waren ganz neu, hab sie an der Hurensau kaputtgetreten. – Iwan stand da und betrachtete die nackte, stöhnende, blutüberströmte Eva, bloß weg hier, – sagte Grischa, wir müssen abhauen, komm, – Sawa richtete seinen Blick auf Iwan, los, – sagte er, – wir fahren, – was wird aus ihr? – fragte Iwan, – wir fahren – wiederholte Sawa und ging in Richtung Bahnhof. Grischa zerrte Iwan hinter sich her. Am Bahnhof schoben sie Iwan in den BMW , grüßten den Stationsvorsteher mit der Hupe und fuhren in nördlicher Richtung davon. Iwan schaute aus dem Fenster, betrachtete
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