Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
stand und im Morgengrauen eines Augusttages auf eine Kolonne von Zigeunerbussen starrte, vollgestopft mit kaputten vietnamesischen Fernsehgeräten, auf einen Rettungswagen, der in der Dunkelheit hell wie eine große Muschel auf dem Meeresgrund leuchtete, auf drei bestürzte polnische Zöllner, die eine Studentin der Jagiellonen-Universität in den Rettungswagen schoben, irgendwas ist passiert, ganz klar, aber man kann noch alles richten, alles kann noch werden, alles wird gut. Was er nicht wußte war, daß nichts jemals gerichtet werden kann.
In Chelm kaufte er bei den Zigeunern ein Schengen-Visum. Die Zigeuner feilschten lange, wollten ihm eine Partie Fernseher andrehen, wollten ihm eine weißrussische Prostituierte andrehen, ließen sie sogar aus dem Bus steigen und zeigten sie, schau doch, was für eine Schönheit, sagten sie, der Prostituierten fehlte ein Vorderzahn, sie war besoffen und aufgedreht, schrie die ganze Zeit und störte das Geschäft, aber dieZigeuner blieben stur, mein Kommilitone wollte sie schon fast kaufen, da fing die Prostituierte an, laut zu schreien, und die genervten Zigeuner jagten sie in den Bus, kamen zurück und verkauften ihm das Schengen-Visum für einen Zwanziger. Man kann noch alles richten, dachte er, man kann noch alles richten. Die Polen ließen ihn nicht raus, nahmen ihn fest, beschuldigten ihn der Urkundenfälschung und schoben ihn nach Hause ab. Zu Hause angekommen, ging er wieder zur Paßstelle. – Ich möchte Auswanderungspapiere, – sagte er, – jüdische Emigration. – Sind Sie Jude? – frage man ihn. – Ja, – antwortete er. – Und Ihr Nachname lautet Bondarenko? – in der Paßstelle blieb man skeptisch. – Ja, – er bestand hartnäckig auf seiner Version. – Meine Eltern kommen aus Winnyzja, sie sind Mißgeburten. – Mischlinge, – verbesserte man ihn. – Also was ist mit auswandern? – fragte er nochmals. – Wissen Sie, sagte man ihm, wenn da nicht Ihr Name wäre, könnten wir uns vielleicht noch was einfallen lassen, aber jüdische Emigration mit so einem Namen?
Soll ich denn, dachte er verzweifelt, als er im August durch Charkiw ging, wegen dieses verflixten Namens mein ganzes Leben lang leiden, soll ich hier verrecken mit diesem Namen, werde ich mich bis an mein Lebensende an sie erinnern, an ihre warme Haut, an ihre schwarze Unterwäsche – nachdem ihm die Unterwäsche eingefallen war, setzte er sich in den Zug und fuhr nach Polen. Nachdem er die polnische Grenze passiert hatte, suchte er in Chelm die Zigeuner auf und wollte wieder ein Schengen-Visum bei ihnen kaufen. Die Zigeuner zögerten. Hör mal, – sagten sie, – du mußt offensichtlich wirklich dringend nach Berlin, also schlagen wir folgendes vor – kauf uns die Prostituierte ab. – Verpißt euch mit eurerNutte, – seine Verzweiflung war grenzenlos, – wozu brauche ich die alte Kuh?! – Was heißt hier alte Kuh? – die Prostituierte fühlte sich plötzlich beleidigt und fing an zu schreien, aber die Zigeuner jagten sie schnell in den Bus und versperrten die Tür mit einem großen Vorhängeschloß. – Hör zu, – sagte sie ihm, – du raffst das nicht – wir verkaufen sie dir nicht einfach so, wir verheiraten euch, provisorisch, versteht sich, nebenbei werden wir uns auf eurer Hochzeit amüsieren, dann tragen wir euch als jüdische Familie aus Witebsk ein, ihr kommt über die Grenze, in Bundes hilfst du ihr, die Partie japanischer Fernseher ohne Bildröhren zu verticken und läßt dich scheiden. Du mußt doch nach Berlin? – Muß ich, – sagte er traurig. – Also, was ist dann das Problem? – wunderten sich die Zigeuner und fielen in ihren alten Singsang zurück, – schau nur, was für eine Schönheit, – wobei sie ängstlich auf den Bus schielten, in dem die weißrussische Prostituierte bedrohliche Schreie ausstieß. – Okay, – willigte er endlich ein, – hat sie wenigstens einen jüdischen Namen? – Hat sie, – beschwichtigten ihn die Zigeuner, – sie hat einen wunderbaren jüdischen Namen – sie heißt Angela Iwanowa, nach ihrem ersten Ehemann.
Die Polen ließen sie nicht raus. Sie hielten den Bus an, fanden im Fahrgastraum einen Haufen kaputter vietnamesischer Fernsehgeräte ohne Bildröhren, unter einem Fernseher fanden sie meinen schläfrigen Kommilitonen, der nach der Hochzeit noch nicht wieder voll bei Sinnen war, er blickte aus dem Fernsehgerät wie ein Nachrichtensprecher, und in seinen Nachrichten ging es darum, daß unsere Welt am Abgrund steht, daß
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