Hypnose
nach Hause kam, wollte sie ihn nicht auch noch auf seinen Kummer ansprechen. Er betäubte seinen Schmerz mit Arbeit. Bei ihr half das nichts.
Sie brauchte ein anderes Ventil, und das war Reden, Reden, Reden. Peters Devise war Schweigen. Und wenn sie doch einmal das Gespräch auf jenen schrecklichen Abend lenkte, an dem sie ihren Sohn tot zur Welt gebracht hatte, dann verzog sich Peter ins Arbeitszimmer an den PC, um einer Konfrontation mit dem Thema zu entgehen. Später tat es ihm leid, dass er sie abgeblockt hatte. Er nahm sie in den Arm und erklärte ihr, dass er seine Gefühle immer noch nicht in Worte fassen konnte, und mehr als einmal hatten sie dann zusammen geweint. Sie hielten sich gegenseitig fest und schworen sich, dass all das Schlimme, das über sie hereingebrochen war, zumindest ihrer Liebe keinen Abbruch tun würde. Sie hoffte, dass es so sein würde.
Inka atmete tief durch. In ihrem Kopf kribbelte es.
»Lasst uns endlich anstoßen«, sagte Jannis und nahm sein Glas vom Couchtisch. »Darauf, dass es dir wieder besser geht, Inka.«
»Ja, natürlich«, sagte sie gedankenverloren. »Auf euch, und schön, dass ihr gekommen seid!«
Die Gläser klirrten gegeneinander, alle lachten, und Inka entging dabei nicht, dass Jannis sie aufmerksam beobachtete. Skeptisch, könnte man fast sagen. So, als würde er spüren, dass es ihr nicht ganz so blendend ging, wie sie nach außen hin vorgab.
Unvermittelt quäkte eine blecherne Stimme Alle meine Entchen, und Annabel begann, in ihrer Handtasche zu graben. Sie strich sich eine lange blonde Strähne hinters Ohr und zog ihr Handy heraus. Dabei entdeckte Inka das Tattoo an der Innenseite von Annabels rechtem Handgelenk. Das war neu. Ein kleines, kunstvoll gestaltetes J aus farbigen Blumenranken. Sehr hübsch auf ihrer leicht gebräunten Haut. Und wie romantisch , dachte Inka, sie hat Jannis auf ihrer Haut verewigt .
Annabel drückte ein paar Tasten und seufzte dann. »Eine SMS von meiner Schwester. Ich soll morgen um fünfzehn Uhr Vater in der Psychiatrie besuchen. Evelyn kann nicht, weil sie am Nachmittag die Patienten ihres kranken Kollegen übernehmen muss – sie arbeitet doch in der Praxisgemeinschaft. Das wird dann zwar etwas stressig wegen unserem Stadtbummel, aber ich komme trotzdem mit, sonst habe ich für morgen gar keinen Lichtblick.«
»Wie geht es deinem Vater?«, fragte Rebecca.
»Nicht gut. Die Schizophrenie spricht nur langsam auf die Medikamente an. Es ist schlimm, ihn so zu sehen.«
»Echt schrecklich«, sagte Rebecca, »ein Leben lang als Psychiater gearbeitet, und dann so etwas!«
»Das macht mich selbst ganz krank, ja. Und es ging alles so schnell. Ende letzten Jahres, als mein Vater die Klinik an Walter übergeben hat, um sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückzuziehen, war die Welt noch in Ordnung. Aber schon nach den ersten acht Wochen zu Hause hat sich mein Vater recht merkwürdig benommen, immer wieder Türen und Fenster kontrolliert und ununterbrochen geredet. Entweder mit sich selbst oder mit seiner Haushälterin, die uns irgendwann ganz verzweifelt angerufen hat. Nach Ostern wurde es immer schlimmer, und keine drei Monate später mussten wir ihn mit Wahnvorstellungen in die Klinik einliefern lassen.«
»Gehst du ihn oft besuchen?«, fragte Inka betroffen, da sie Annabels Vater früher gut gekannt hatte, weil sie als Schülerin häufig Gast zum Mittagessen bei den Brunners gewesen war.
»Ja, freitags und sonntags. Evelyn geht mittwochs und samstags. Das geht jetzt seit vier Wochen so. Er braucht diesen strengen Rhythmus, sagt sein Arzt. Feste Strukturen sind wichtig. Mein Vater fragt immer nach uns, aber wenn wir da sind, bildet er sich manchmal ein, wir würden ihn bedrohen. Reden wir nicht mehr davon.« Annabel seufzte wieder. »Der klassische Verlauf.«
»Soll ich eine Flasche Wein zum Essen aufmachen?«, fragte Inka, um die niedergedrückte Stimmung etwas aufzulockern. »Ich habe Bruschetta im Ofen.«
»Das ist eine sehr gute Idee!«, rief Jannis. »Ich bin dabei.«
»Du musst noch fahren, Schatz«, wandte Annabel ein. »Ich fahre nachts nicht gerne, schon gar nicht durch Stuttgart. Das weißt du.« Sie wirkte plötzlich angespannt.
Jannis verzog kurz das Gesicht, nickte dann jedoch friedfertig.
»Aber ein kleines Gläschen Sekt zum Anstoßen?«, schlug Inka vor und erhielt von allen Seiten freudige Zustimmung.
»Und – was hältst du von ihm?«, fragte Jannis sie.
Inka runzelte die Stirn. »Von wem?«
»Walter
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