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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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nicht«, erklärte ich ihr und legte meine Hand an ihre Wange. »Ich muß noch etwas sehr Wichtiges erledigen. Ich werde aber vor der Flut zurücksein. Das verspreche ich dir.«
    »Ich will mitkommen!« protestierte mein Sohn.
    »Nein. Was ich zu tun habe, muß ich allein ausführen. Außerdem mußt du bis zu meiner Rückkehr auf Sara aufpassen.«
    Ich drückte Jonas die Zügel in die Hand und stieg von der Bucht durch die gepflasterten Gassen wieder hinauf ins Dorf. Als ob sie den Weg kennen würden, führten mich meine Schritte bis zu dem kleinen Friedhof der Kirche Santa Maria. Wie oft hatte ich aus dem Mund der alten Meister von ihrem eigenen symbolischen Tod an jenem Ort gehört? Es bestand kein Zweifel, daß das Schicksal für mich dieselbe Erfahrung vorgesehen hatte. Und ich war bereit.
    Vor den Grabsteinen, die sich an der Kirchenmauer stapelten, blieb ich stehen und erfreute mich an den seit Menschengedenken darauf eingeritzten Zeichnungen. Wie die Legende berichtet, strandete in Noia nach der Sintflut Noahs Arche, und obwohl dies natürlich nur eine Sage war, so barg sie doch eine sehr viel wichtigere, geheime Wahrheit. Sicherlich hatte nach dem großen Unglück, welches die Erde verwüstete, eine Galeere die Küsten Noias angelaufen. Jedoch war es nicht Noah gewesen, der auf diesem Schiff fuhr, ebensowenig wie die Gebeine des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela ruhten.
    Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Grabplatten. Jene Steine steckten voller Symbole und mysteriöser Sinnbilder, zeigten jedoch keinerlei Inschriften, durch die auf ihre vermeintlichen verstorbenen Besitzer zu schließen gewesen wäre. Obwohl viel Zeit verstrichen war, seit ich jene Sprache studiert hatte, bereitete es mir nicht die geringste Mühe, diese Zeichen zu entziffern, und durch sie vernahm ich die fernen Stimmen derjenigen, die wie ich einst hierhergekommen waren, um für alle Ewigkeit ihr vorheriges Leben abzulegen und auf der Suche nach einer neuen Wahrheit ihrem alten Glauben abzuschwören.
    »Versteht Ihr, was sie besagen?« fragte mit einem Mal eine Stimme hinter mir.
    Ich drehte mich nicht um. Wer auch immer es sein mochte, er hatte mich erwartet.
    »Das wißt Ihr sehr wohl«, entgegnete ich gleichmütig.
    »Jener Haufen laudae sepulcralis dort trägt noch keine Symbole. Wählt Euch Eure Grabplatte aus.«
    »Jede wird ihren Zweck erfüllen, sorgt Euch nicht.«
    »Habt Ihr gegessen, Señor?«
    »Nein.«
    »Dann kommt bitte. Begleitet mich in die Kirche.«
    Als ich bei Einbruch der Dämmerung die Kirche verließ, lehnte eine neue Grabplatte an der Kirchenmauer. Ich selbst hatte in sie meine Herkunft, meine Ahnen und mein Geschlecht gemeißelt, meine vergangene Pein und Einsamkeit, die langwährende Liebe zu Isabel de Mendoza, mein Hospitalitergelübde, meine Jahre auf Rhodos und all das, was die Biographie des verschwundenen Galcerán de Born ausgemacht hatte. Ich besaß nun eine neue Identität, einen neuen geheimen Namen, den ich nie enthüllen durfte und für den ich mein Leben lang vor mir verantwortlich war. Leb wohl, Vergangenheit, sagte ich, während ich mich von meinem Grab entfernte.
    Mitten in der Nacht lichtete Martiños Kahn die Anker. Es war ein stabiles, schmales, aber langes, zweimastiges Küstenschiff mit schneidendem Bug und Leitsteven, welches mit hochgezogenen Längsseiten versehen war, um dem heftigen Ansturm des Meers besser standhalten zu können, das an jenen Küsten unheimlich wild und stürmisch war. Von Noia aus kreuzten wir Richtung Norden die Meereszunge zum Hafen des Fischerdörfchens Muros, und von dort folgten wir den Umrissen einer Landschaft, die von schroffen Klippen und sandigen Stränden geprägt war. In den darauffolgenden Tagen ließen wir die breite Bucht von Camota, den legendären Monte A Moa in Pindo – der, solange wir ihn im Blick hatten, in allen möglichen Rosatönen changierte – und die herrlichen Wasserfälle von Ézaro hinter uns, wo sich die süßen Wasser des Flusses über eine vorspringende, spitzzulaufende Klippe dem Meer überantworteten.
    Nach fünf Tagen auf dem Meer näherten wir uns endlich Finisterre, dem furchterregenden Ende der Welt, dem letzten von Menschen bewohnten Bollwerk vor den großen Reichen des Atlas, des großen Ozeans, hinter dem nur noch eine unendliche Weite herrschte, dem Ort, wo gemäß der Sage die römischen Legionen unter Junius Brutus fürchterlich erschraken, als sie sahen, wie das mare tenebrosum die Sonne verschlang,

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