Ich beantrage Todesstrafe
Dicaccio den Finger krümmte und den Schuß löste.
Er fiel in das hohe Gras und rollte sich zur Seite. Im gleichen Augenblick bellte der Schuß auf und pfiff über seinen Kopf hinweg in den See, begleitet von dem hellen Aufschrei Helgas, die starr vor Schrecken im Schatten der Bäume saß.
Dicaccio biß die Lippen zusammen. Er sah hinüber zu dem Mädchen, das nach der ersten Erstarrung aufsprang und sich hinter den dicken Stamm einer Kiefer verbarg. Willy Sänger rollte sich weiter, zu einer Grasmulde, in der er lag wie in einem flachen Schützenloch.
»Helga!« schrie er. »Helga! Die Polizei! Schnell! Die Polizei! Fahr, Helga! Fahr!«
Dicaccio trat hinter dem Busch hervor. Er sah, wie das Mädchen das Rad aus dem Gras zerrte und hob die Waffe. Dort, das blonde, schlanke Mädchen, war für ihn Freiheit oder Tod.
Er schoß das erste Magazin leer …
Helga Krämer schrie auf. Sie zerrte das Rad hinter sich her, kriechend, dem Waldweg zu. »Hilfe!« schrie sie. »Hilfe! Mörder! Hilfe!!«
Sie erreichte den Waldweg und schwang sich auf das Rad. Dicaccio rannte ihr nach … im Laufen schoß er noch einmal und sah, wie das Mädchen auf dem Sattel zusammenzuckte. Aber sie fuhr weiter … sie raste den holperigen Waldweg hinunter. Sie schwankte auf dem Rad … er sah, wie sie mühsam die Richtung hielt, mit der Hand an den Rücken griff. Aber sie fuhr weiter, und taumelte auf dem Rad aus dem Wald hinaus auf die Straße.
Joe Dicaccio ließ die leergeschossene Pistole sinken und blickte sich nach dem jungen Mann um. Willy Sänger stand hinter ihm, knapp zwei Meter von ihm entfernt. Er hatte einen aufgelesenen dicken Ast in der Hand. Sein Gesicht war bleich.
»Wirf die Pistole weg!«
Dicaccio musterte Willy Sänger. Sie waren gleich groß, fast gleich alt sogar. Er überlegte, ob er ihn anspringen sollte. Erwürgen, mit der Faust gegen die Schläfe schlagen, die Halsschlagader abdrücken … es gab viel Möglichkeiten, das Leben noch zu retten. Er trug auch ein Messer in der Tasche. Ein Messer mit einer langen Klinge.
Er wollte in seine Hosentasche greifen, als Willy Sänger zuschlug. Er traf Dicaccio erst auf den Kopf, dann auf die abwärtsgleitende Hand. Dreimal, viermal … Dicaccio wankte und trat zurück. Dann sprang er in die Schläge des dicken Astes. Ein Hieb traf ihn zwischen die Augen … er spürte, wie die Haut aufsprang und sein Gesicht feucht wurde, feuchtwarm und klebrig. Blut, dachte er. Verdammt …
Dicaccio hieb mit beiden Fäusten auf Willy Sänger ein. Stumm, verbissen kämpften sie miteinander, sich über die Erde rollend, dem See zu.
Ich werde ihn ertränken, dachte Dicaccio. Ich werde seinen Kopf solange unter das Wasser drücken, bis er erstickt ist …
Sie rollten am Ufer des Sees entlang. Sie hieben auf sich ein. Wie kämpfende Flußpferde wühlten sie das Wasser auf, wirbelten den schlammigen Grund empor und standen sich dann gegenüber, bis zu den Hüften im Wasser, blutend, mit verschwollenen Gesichtern, nach Atem ringend und taumelnd.
»Gib es auf«, sagte Willy Sänger keuchend. »In ein paar Minuten ist die Polizei da.«
»Du wirst es nicht erleben«, stöhnte Joe Dicaccio. Er senkte den Kopf wie ein Stier in der Arena, bevor er den Matador angreift.
»Sie wird gleich hier sein. Solange halte ich stand. Du hast auf Helga geschossen, du Schwein. Das allein genügt, dich umzubringen …«
Dicaccios Kopf pendelte hin und her. »Ich habe sie auch getroffen. In den Rücken. Vielleicht liegt sie irgendwo an der Straße. Ich würde nicht auf die Polizei warten.«
»Du hast sie getroffen?« stöhnte Willy Sänger. Vor seinen Augen drehte sich der See. »Du hast sie getroffen?« wiederholte er leise.
»In den Rücken.«
Willy Sänger stöhnte. Er schwankte auf Dicaccio zu.
»Wenn du Helga erschossen hast, bringe ich dich um«, sagte er leise. »Du wirst nicht lebenslänglich sitzen und eines Tages begnadigt werden. Du Bestie! Du Hund, verfluchter!«
Wieder griff er zu. An den Hals Dicaccios. Mit krallenden Fingern. Dicaccio wich ihm aus, er stolperte über einen Stein und brach in die Knie. Willy Sänger warf sich über ihn, drückte ihn unter das Wasser und schrie: »Helga! Helga! Helga!«
Dann fiel er um. Wie ein entwurzelnder Baum. Er fiel seitlich zum Ufer in das seichte Wasser, den Kopf auf den Steinen. Hinter ihm, im Wasser, auf den Knien hockend, rang Dicaccio nach Luft. Seine Augen waren verquollen, blutunterlaufen, leblos-starr.
So fanden sie die Polizisten, als sie am
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