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Ich beantrage Todesstrafe

Ich beantrage Todesstrafe

Titel: Ich beantrage Todesstrafe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sterben können! Ich habe den Vorsatz der Tötung. Ich begehe mit dem Attentat auf den von Menschen benutzten Verkehrsmitteln mehrfachen überlegten und vorsätzlichen Mord! Auf Mord aber steht –«
    »Stand, Herr Kollege, stand!« Karlssen fuhr mit beiden Händen durch die Luft. »Wo gibt es da noch Grenzen? Sie weiten den Paragraphen 211 derart aus, daß es bald wie in Hitlers Zeiten kaum noch ein Verbrechen gäbe, auf das nicht das Fallbeil folgen könnte. Wir können die Guillotinen nicht rasen lassen wie die Rotationsmaschinen.«
    Minister Burrmeister sah Dr. Doernberg mit großen Augen an. »Soll ich Ihnen die Sammlung der Justizirrtümer zeigen, Herr Dr. Doernberg? Diesen Berg von Unrecht, der heute ein Berg der Schuld des Staates ist?!« Er erhob sich ruckartig. »Meine Herren«, sagte er laut. »Ich lasse lieber zehn Mörder lebenslänglich sich in einem Zuchthaus mästen, als einen einzigen Menschen unschuldig unter das Fallbeil zu bringen!«
    1944. Oktober.
    Luftschutzsirenen heulen auf.
    Für die verhärmten Gestalten, die in die Keller flüchten, ist dieses nerventötende Sirenengeheul bereits Teil des Alltags, der den Menschen keine Minute zur Besinnung läßt, der sie langsam und unmerklich zu stumpfen Tieren macht.
    Durch die ausgebrannten Straßenzüge Breslaus irrt eine Frau. Vierundfünfzig Jahre alt. Unter ihrem Kopftuch flattern die grauen Haare strähnig im Wind.
    Die grauhaarige Frau friert, trotz des Feuers, das eine ganze Stadt umlodert. Es ist ein kalter Oktobertag. Auf der Oder treiben kleine Eisschollen. Die grauhaarige Frau rennt durch die Straßen, planlos, irr vor Angst.
    Aus einem Trümmerberg sieht sie ein Stück karierten Stoff hervorquellen. Ein Mantel! Mein Gott – ein Mantel. Sie zerrt an dem Stoff, sie räumt die Steine weg … wirklich, ein Mantel! Ein Wintermantel! Ein bißchen dreckig, an der Schulter sogar eingerissen – aber ein Mantel! Die Frau wirft ihn über und rennt weiter. Oh, wie er wärmt. Sie wird ihn flicken und tragen, bis sie aus der brennenden Stadt wieder herauskommt.
    An der Ecke hält sie ein Luftschutzmann an.
    »He, herkommen!« brüllt er. »Du hast den Mantel dahinten weggenommen. Ich hab's gesehen! Mitkommen! Los, los! Mitkommen …«
    Sie geht mit. Der Mantel ist warm, so herrlich warm. Was kann man schon wollen? Ein alter Mantel, der unter Trümmern lag? Wer ihn einmal trug, ist längst von den Bomben in den Boden gepflügt.
    Die grauhaarige Frau nickt freundlich, als man sie in eine Zelle sperrt.
    Das Sondergericht tritt zusammen.
    »Sie sind Witwe?«
    »Ja. Mein Mann fiel vor einem Jahr bei einem Bombenangriff.«
    »Kinder?«
    »Zwei. Zwei Jungen. Der eine ist bei Stalingrad vermißt, der zweite ist bei Korinth gefallen.«
    »Sie sind jetzt allein?«
    »Ganz allein, Herr Staatsanwalt.«
    »Und Sie haben geplündert?«
    »Ja, Herr Staatsanwalt.«
    Staatsanwalt und Vorsitzender sehen sich kurz an. Sie sind Menschen, sie fühlen mit dieser grauhaarigen Frau, die Mann und Kinder verlor in diesem wahnwitzigen Krieg. Sie verstehen sich mit diesen Blicken.
    »Aber Sie wollten nicht plündern?«
    »Doch, Herr Staatsanwalt. Ich sah den Mantel, ich fror … da habe ich ihn mitgenommen.«
    »Aber Sie bereuen es? Sie würden es nicht wieder tun?«
    Die grauhaarige Frau merkt nicht die goldenen Brücken. Sie ist eine einfache, grundehrliche Frau. Du mußt immer die Wahrheit sagen – das ist ihr Lebensspruch.
    »Doch«, sagte sie furchtlos. »Ich würde es wieder tun. Ich wollte nicht mehr frieren … Und die den Mantel trugen, sind ja tot.«
    Der Staatsanwalt plädiert. Der Vorsitzende verkündet. Sie sagen und tun etwas, was ihnen zuwider ist, was sie nicht glauben, was ihnen die Worte stocken läßt und ihre Stimmen heiser macht:
    »Wird wegen Plünderung während eines Luftangriffes zum Tode verurteilt …«
    Der Staatsanwalt am Sondergericht spricht mit dem Vorsitzenden. Sie sind sich beide einig in der Befürwortung eines Gnadenerweises. Oberstaatsanwalt und Generalstaatsanwalt schließen sich an.
    Sie reichen eine Bittschrift nach Berlin ein. Der Staatsanwalt führt ein Ferngespräch mit dem Reichsjustizministerium.
    Das Gesetz hat zwar recht. Auf Plünderung steht die Todesstrafe. Aber die Umstände … die menschliche Tragödie, die hinter ihr steht …
    Der Oberlandesgerichtspräsident schließt sich der Bittschrift an. Noch nie ist es in der deutschen Justiz vorgekommen, daß Staatsanwalt, Gerichtsvorsitzender und Chefpräsident an der höchsten

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