Ich bin alt und brauche das Geld
gesprochen und anschließend profund die Herstellungsschritte bei der Erzeugung von Eiswein erläutert hatte, inklusive aller Ausbaumethoden. Adrian meinte, die Leute hätten bis dahin gar nicht gewusst, dass man Wein nicht nur anbauen, sondern auch ausbauen könne. Und richtig leidenschaftlich wäre ich beim Fleischgang gewesen, kleine Tournedos in der Senfkruste an Schalottenconfit, da hätte ich den dazu servierten Bordeaux auf eine Weise beschrieben, dass die Leute – so O-Ton Adrian – dem Orgasmus nahe gewesen seien. Er wiederholte mir meine Ausführungen wortwörtlich, als er mir nach dem Verlassen des Lokals ins Taxi half (er hatte ebenfalls einiges getrunken, weshalb wir den Wagen stehen lassen mussten), und als ich es mir anhörte, wäre ich vor Scham am liebsten im Boden versunken.
»Nein«, murmelte ich vernichtet und mit ziemlich verwaschener Stimme. »Das kann ich nicht gesagt haben. Nicht das mit dem runden, vollen Körper und dem nach unten ausstrahlenden Abgang.«
»Doch, ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Mir hat auch die Stelle mit dem majestätischen Volumen am Gaumen gut gefallen. Oder das mit der Finesse der Minerale auf der Zunge.« Adrian setzte sich auf den Beifahrersitz und wiederholte es noch einmal genüsslich in allen Einzelheiten, worauf der Taxifahrer mich interessiert im Rückspiegel musterte.
Ich selbst erinnerte mich nur noch einigermaßen an die letzte Runde nach dem Dessert (dreierlei Mousse an Irgendwas), jemand hatte nach dem Espresso und dem Likör unbedingt allen noch einen ausgeben wollen, worauf die Bedienung leckeren heißen Pflaumenschnaps brachte. Weil ich meine Aufgabe ernst nahm, hatte ich auch dazu noch was vorgetragen, peinlicherweise im Beisein von Jonas Voss, und zwar über Methoden des Schnapsbrennens. Und ganz zum Schluss hatte ich noch einen nostalgischen Exkurs über Trinksprüche vom Stapel gelassen und dass die Russen da wirklich was weghatten mit ihrem Bum , da könne jedes Cheers einpacken. Zum Beweis hatte ich darauf bestanden, dass wir alle gemeinsam mantraartig Budjem sdorowy vor uns hin murmelten, bis es in der richtigen Tonlage herauskam.
Oh Gott. Peinlicher ging es gar nicht.
»Da können wir nie wieder hingehen«, sagte ich.
Adrian lachte bloß.
Als wir zu Hause angekommen waren, half er mir aus dem Wagen und legte leicht die Hand um meinen Ellbogen, während wir zum Haus gingen. Auch auf der Treppe nach oben stützte er mich, was sich als nützlich erwies, denn die Stufen waren seltsam wacklig, sodass meine Füße sie nicht immer auf Anhieb fanden.
Vor seiner Wohnungstür blieben wir stehen. Inzwischen wusste ich, dass er immer durch die erste der beiden Türen hineinging, denn hinter der zweiten hatte er ein Regal stehen. Es gab viele Regale in dieser Wohnung, nicht nur in seinem Doppelwohnzimmer. Er hatte welche im Schlafzimmer, im zweiten Schlafzimmer, in der Abstellkammer (für die Reinigungsmittel). Sogar in der Küche standen Regale; dort gab es jede Menge Kochbücher, von denen ich allerdings noch herausfinden musste, ob er hin und wieder auch danach kochte.
Obwohl ich sein Badezimmer während seiner Abwesenheit immer mit dem festen Willen benutzt hatte, hinterher die Wohnung sofort wieder zu verlassen, hatte ich der Versuchung nicht widerstehen können. Immerhin war ich so standhaft geblieben, nur zu schauen. Ich hatte nichts angefasst. Außer den Fotoalben in seinem Schlafzimmerregal. Darin hatte ich die Bilder von ihm und seiner Frau entdeckt. Als junges Brautpaar bei der Hochzeit, später irgendwo in den Bergen, auf einem Segelboot, am Strand, mit Freunden. Hauptsächlich Urlaubsbilder, die ein junges, gut aussehendes, fröhliches Paar zeigten. Ungefähr fünfzehn Jahre nach dem Hochzeitsbild hatte das letzte Album aufgehört. Er hatte mir erzählt, dass er seit zehn Jahren geschieden war. Seine Ex war nach Berlin gezogen und hatte wieder geheiratet. Er selbst hatte, auch das hatte ich von ihm erfahren, seit seiner Scheidung die eine oder andere längere Beziehung gehabt sowie ein paar kürzere, aber mittlerweile war er drei Jahre in Folge solo.
»Keine Zeit«, hatte er lapidar gemeint, als ich ihn gefragt hatte, woran das lag. »Ich hatte einfach zu viel Arbeit.«
Dasselbe hatte ich von mir auch sagen können, damals, bevor ich Klaus getroffen hatte. Irgendwie hatte man vor sich hin gelebt, allein, aber nicht unzufrieden, und dabei vor lauter Bequemlichkeit aus den Augen verloren, dass es auch zu zweit ganz nett sein
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