Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
Vom Netzwerk:
den Rotwein. Weiche Tannine, fruchtige Beerennote. Eigentlich müsste man den Wein ein bisschen kühler trinken, dann kommt das Aroma besser zur Geltung. Ich würde sagen – aber da will ich mich nicht hundertprozentig festlegen –, dass es ein 2009er Jahrgang ist.«
    »Wahnsinn«, sagte Adrian verblüfft.
    Bertrands Lächeln wurde noch starrer, doch er sagte nichts mehr, sondern zog sich nach einem kurzen Gemurmel mit einem der Kellner zurück. Um mich herum herrschte zuerst Schweigen, dann Getuschel, und plötzlich rief jemand – vermutlich ein Anwalt: »Können wir das mal verifizieren?«
    Ich duckte mich peinlich berührt über meine Ententranchen und tat so, als wäre ich an allem völlig unbeteiligt, doch Herr Professor wollte es ebenfalls genau wissen. Er stand auf, marschierte zu den Servicekräften und kam anschließend mit einer halbleeren Flasche zurück, die er an allen drei Tischen herumzeigte, worauf sich das Getuschel in lautstarke Anerkennung verwandelte.
    »Unglaublich«, rief jemand, und alle starrten mich an, als wäre mir gerade ein drittes Auge gewachsen. Ich hätte mich am liebsten unter dem Tisch verkrochen, vor allem, als ich bemerkte, dass auch der Küchenchef den ganzen Auftrieb mitbekommen hatte. Jonas Voss stand im Hintergrund und ließ sich von einer der Bedienungen erklären, was genau passiert war, und seine Blicke wanderten immer wieder von mir zu der Weinflasche in seiner Hand. Als er unvermittelt auf unseren Tisch zukam, hätte ich sonst was darum gegeben, mich entmaterialisieren zu können.
    Aus, dachte ich erschrocken. Jetzt wirft er uns raus. Das war’s mit der tollen Degustation.
    Doch stattdessen fragte er, ob es uns schmeckte, und nachdem wir das alle bejaht hatten – ich schob mir hastig noch die letzten Stücke Entenbrust in den Mund und trank mein Glas leer, wenigstens das wollte ich noch mitnehmen, schließlich kostete es einen Haufen Geld –, wandte er sich angelegentlich an mich und fragte freundlich, ob ich nicht Lust hätte, für die letzten drei Gänge seinen Sommelier zu vertreten. Bertrand hätte nämlich eben einen Anruf bekommen, jemand aus seiner Familie sei plötzlich erkrankt. Weshalb er dringend wegmüsse, was natürlich für die Gäste sehr schade sei. Schließlich sei die kleine Weinkunde Bestandteil der Veranstaltung, und da wäre es doch toll, wenn ein fachkundiger Gast das übernehmen könnte.
    »Natürlich immer erst nach dem Gang, sonst wird Ihnen ja das Essen kalt«, schloss Jonas Voss fröhlich in seinem netten Pfälzer Dialekt.
    Ich musste mehrmals schlucken, zum einen, weil ich den Mund voller Entenbrust mit Pflücksalat hatte, und zum anderen, weil das so völlig unerwartet kam.
    »Na ja«, stammelte ich verlegen. »Ich weiß nicht …«
    »Natürlich wären Sie als kleines Dankeschön für Ihre Hilfe zum Essen eingeladen. Und zum Trinken auch.« Jonas Voss schenkte mir aus der Flasche, die er mit an den Tisch gebracht hatte, Beaujolais nach. »Verraten Sie mir Ihren Trick?«, fragte er.
    Was das anging, bewegte ich mich auf sicherem Boden. »Es war eigentlich ganz einfach.« Ich hielt mein Glas hoch. »Beaujolais erkennt man oft schon an der Farbe. Für einen Rotwein kann er recht blass sein. Er wird jung getrunken und schmeckt daher fruchtiger als andere französische Rotweine. Dass es ein Grand Cru sein musste, war klar, denn etwas anderes hätte nicht zu dem Spitzendinner gepasst. Gut, Brouilly habe ich geraten, aber eigentlich auch wieder nicht, denn zusammen mit Côte de Brouilly ist es die mit Abstand größte Anbaufläche der zehn Beaujolais-Crus. Und was den Jahrgang angeht – ich habe zufällig auch zwei, drei Flaschen davon zu Hause. Tricks habe ich wirklich keine auf Lager, ich hatte bloß über zwanzig Jahre lang eine Weinhandlung.« Und dann wurde ich übermütig, was ich rückblickend allein dem Alkohol zuschrieb, den ich zu diesem Zeitpunkt schon intus hatte.
    »Meinetwegen«, sagte ich. »Ich mach’s.«
*
    Hinterher behauptete Adrian, ich hätte einen wirklich guten Eindruck hinterlassen, aber das bezweifelte ich stark, schon deshalb, weil ich mich nicht mehr an alles erinnern konnte. Zum Beispiel daran, was ich angeblich beim Zwischengang – einem Sternfrucht-Orangen-Minze-Sorbet – erzählt hatte, oder genauer, über den Eiswein, den es dazu gab. Adrian meinte, es hätte unvergleichlich kompetent geklungen, als ich über die säurebasierte Unterstützung der fruchtigen Noten und den Gleichklang der schmelzenden Kühle

Weitere Kostenlose Bücher