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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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»Du könntest in der Zwischenzeit alles aufräumen und den Abwasch machen!«
    Es kam keine Antwort, und ich hatte das seltsame Gefühl, dass sie mich vielleicht nicht verstanden hatte, obwohl sie sehr gut Deutsch sprach. Zögernd folgte ich ihr. Sie hatte die Tür von der kleinen Kammer offen gelassen, weil es kein Fenster gab und das Neonlicht von der Deckenröhre alles andere als anheimelnd war. Sie saß auf dem aufblasbaren Gästebett, kämmte sich das nasse Haar aus und wiegte sich dazu versunken hin und her, jung und schön wie eine Meerjungfrau, die es zufällig an Land verschlagen hatte.
    Und sie hatte mich tatsächlich nicht verstanden, denn in ihren Ohren steckten wieder die unvermeidlichen Stöpsel ihres Smartphones – sie hörte Musik.
    Ich trat in ihr Blickfeld, worauf sie widerwillig die Kopfhörer herauszog.
    »Ich gehe jetzt mit den Kindern spazieren, und es wäre sehr nett, wenn du aufräumst und den Abwasch machst.«
    Sie rang sich ein Nicken ab, bevor sie sich die Ohren wieder zustöpselte. Sonderlich versessen auf ihren Aupair-Job schien sie nicht zu sein, im Gegenteil. Doch das lag vielleicht daran, dass sie vorübergehend mit diesem winzigen Zimmer vorliebnehmen musste.
    Seufzend machte ich mich mit den Kindern auf den Weg.
    Zwei Stockwerke tiefer begegneten wir Adrian Köhler. Seine große Gestalt versperrte uns auf der Treppe den Weg. Er kam von unten und hatte eine Sonntagszeitung unter dem Arm klemmen. Wie beim letzten Mal trug er abgewetzte Jeans und ein Holzfällerhemd, nur diesmal nicht rot-grün kariert, sondern blau-grau.
    »Guten Morgen«, sagte ich höflich, als er zwei Stufen unter mir auf der Treppe stehen blieb, sodass ich gut sehen konnte, wie er beim Anblick der Kinder die Brauen hochzog.
    »Morgen«, erwiderte er. »Sind das Ihre?«
    Während ich noch überlegte, ob ich mich geschmeichelt fühlen sollte, fügte er hinzu: »Ich meine natürlich Ihre Enkel.«
    »Oh, hm. Nein.« Ich zwang mich zu einem sonnigen Lächeln. »Es sind die Enkel eines Bekannten.«
    »Wir sind die Enkel von unserem Opa«, erklärte Paulinchen. »Aber der ist jetzt tot.«
    »Er ist eine Leiche«, führte Mäxchen aus.
    »Das tut mir leid.«
    »Warum?«, fragte Mäxchen.
    »Na ja, es ist nicht schön, wenn jemand gestorben ist. Darüber ist man traurig.«
    »Warum?«
    Halb erwartete ich, dass Herr Köhler darauf antworten würde wie die meisten Erwachsenen, etwa: »Es ist nun mal so.« Oder noch kürzer: »Darum.« Aber er schien ernsthaft über die Frage nachzudenken und sagte dann: »Wenn jemand tot ist, vermisst man ihn und ist traurig, weil man ihn nicht mehr wiedersehen kann.«
    »Warum?«
    Adrian Köhler warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.
    »Er ist drei Jahre alt und deshalb gerade in der Warum-Phase«, erklärte ich.
    »Ah. Wieder was dazugelernt.« Er rieb sich das vollbärtige Kinn, es knisterte unter seinen Fingerspitzen, ein Geräusch, das sich unerwartet angenehm anhörte.
    Bei Mäxchen regte es die Wissbegier an. »Bist du aus der Steinzeit?«
    Verblüfft nahm Adrian Köhler die Hand aus dem Gesicht und sah zu dem Kleinen hinunter. »Wie kommst du jetzt auf die Idee?«
    Diese Frage schien Mäxchen zu überfordern, doch Paulinchen stellte die nötigen Zusammenhänge her.
    »Weil du zottelige Haare und einen Bart hast«, erklärte Paulinchen. »Wie der Mann in dem Film.«
    »Was für ein Film?«
    »Der letzte Neandertaler.« Sie schüttelte den Kopf und sagte zu Mäxchen: »Der Mann in dem Film sieht anders aus. Der hat total gruselige Zähne.« Sie musterte Adrian. »Deine Zähne sind ganz sauber. Und du hast ein Hemd an.«
    »Ja, auch wenn viele glauben, dass es aus der Steinzeit stammt.« Herr Köhler grinste flüchtig, dann wandte er sich an mich. »Ich kenne den Film. Er ist ziemlich brutal, und ich bin sicher, dass er nicht für kleine Kinder freigegeben ist. Erlauben die Eltern, dass die Kinder sich solche Filme ansehen?«
    Unauffällig forschte ich in seinen bärtigen Zügen nach Anzeichen zwanghafter Korrektheit. Mit seiner Laune schien es nicht zum Besten zu stehen, er kam mir ziemlich brummig vor. Ob er sich wegen seiner schlechten Erfahrungen mit der vierten Etage sorgte, dass die neue Mieterin ebenfalls das Gesetz mit Füßen trat?
    »Keine Ahnung«, sagte ich schnell. »Bis vor zwei Wochen wusste ich ja nicht mal, dass es sie gibt. Die Kinder, meine ich. Ähm, den Film kenne ich übrigens nicht. Und von den Eltern nur die Mutter, aber auch erst seit der Beerdigung. Die Kinder

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