Ich bin alt und brauche das Geld
Namen. Und Mamas Namen. Und andere Wörter. Und lesen kann ich auch schon was.« Sie zeigte mit dem Finger auf einen Textabschnitt. »Guck, das da ist von Mama. Das ist ihr Blog.«
»Woher weißt du das?«
»Ich sehe ihr ganz oft zu, wenn sie da reinschreibt. Deshalb kenne ich die Seite. Mama ist da Hotmami.«
Ich beugte mich vor und las mit wachsendem Entsetzen die Wahrheit über die Identitätskrise von Jennifers Ehemann. Eigentlich hätte ich erleichtert sein müssen, denn fremdzugehen war – rein objektiv betrachtet – nicht so schrecklich wie sich umzubringen, trotzdem war ich erschüttert. Hastig klappte ich den Laptop zu.
»Weiß deine Mama eigentlich, dass du auch allein auf diese Seite gehst?»
Die Kleine schüttelte den Kopf, man sah ihr das schlechte Gewissen an. Ich versuchte, mich gelassen zu geben.
»Hast du denn verstanden, was deine Mama da geschrieben hat?«, wollte ich wissen.
Paulinchen dachte kurz nach.
»Nein«, gab sie dann zu. »Was steht denn da so? Kannst du es mir vorlesen?«
»Ach, das ist alles nicht besonders wichtig. Vielleicht kann sie es dir eines Tages selbst erzählen.«
Ich war erleichtert, dass es bei der Kleinen mit dem Lesen noch nicht so weit her war wie befürchtet. Viele Kinder in Paulinchens Alter konnten schon ein paar Wörter lesen und schreiben, aber für ganze Sätze reichte es meist noch nicht, und auch nicht für schwierige Wörter wie Schlampe . Zum Glück.
Trotzdem versetzte es mir einen Stich, als ich Paulinchens argloses Gesicht sah. Gleichzeitig war ich froh, dass sie das, was ihre Mutter in ihrem Blog geschrieben hatte, nicht wirklich begriff, dafür war sie noch zu klein. Sie konnte vielleicht einzelne Buchstaben lesen und sich dabei das eine oder andere Wort zusammenreimen, aber mehr auch nicht. Zum Glück. Aus einem Internetblog zu erfahren, dass Papa nicht nur Papa, sondern auch ein Arschloch war – das konnte leicht zum lebenslangen Trauma ausarten. Mit einem Mal fühlte ich mich von glühendem Beschützerdrang erfasst. Und von Mitleid mit Jennifer. Ich erinnerte mich noch allzu gut an den Schock, als die MMS an Bibi-Maus auf meinem Handy aufgetaucht war.
»Ich will Pommes«, sagte Mäxchen. Er lugte über die Tischkante und hatte knallrote Flecken im Gesicht. Sie stammten von dem Lippenstift, den er aus Olgas Schminktäschchen geholt und an sich selbst getestet hatte.
»Komm, wir sehen mal in der Küche nach, was wir zu futtern finden. Aber erst mal wirst du abgeschminkt.«
Nachdem das erledigt war, sichtete ich die Essensvorräte, die Jennifer mitgebracht hatte. In der Kiste fanden sich lauter leckere und gesunde Sachen. Saft, Körnerbrötchen, Müsli, Käse, Eier, Joghurt, Milch, Äpfel, eine Ananas. Ich scheuchte Olga vom Sofa hoch, und gemeinsam brachten wir eine Art Brotzeit auf den Tisch. Im Hintergrund dudelte es aus dem Radio, das Olga in einer der noch nicht ausgepackten Kisten gefunden und in der Küche eingestöpselt hatte. Alle gefahrenträchtigen Utensilien wie Schraubenzieher, Tapetenmesser sowie Farb- und Kleistereimer hatten wir in die Abstellkammer geräumt, die man abschließen konnte. Die Kinder waren erstaunlich friedlich, während wir rund um meinen neuen Esstisch in der Küche saßen und gemeinsam zu Abend aßen. Es gab Käsebrote und Apfelsaft und hinterher frisches Obst.
Draußen wurde es allmählich dunkel, und ich merkte, wie erschöpft ich war. Meine Arbeit mit kleinen Kindern lag Jahrzehnte zurück, und mein Nervenkostüm war schon lange nicht mehr so reißfest wie früher. Schließlich erklärte ich mit fester Stimme, es sei höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Zu meiner Erleichterung blieb der Protest aus, anscheinend war ich nicht die Einzige, die müde war. Die Kinder verschwanden mit Olga zum Zähneputzen im Bad, während ich den Abwasch machte und die Küche aufräumte.
Dank praktischer Elektropumpe waren die beiden Luftbetten schnell einsatzbereit, das für Olga in der Abstellkammer – es passte gerade so rein –, das für Paula im Wohnzimmer. Mäxchens Reisebett klappten wir ebenfalls im Wohnzimmer auf. In Kombination mit der Pappe und den noch nicht zusammengebauten Möbelteilen, die wir dicht an die Wand geschoben hatten, wirkte alles vollgestopft wie in einer Rumpelkammer. Außerdem hatte ich beim Betrachten des ganzen behelfsmäßigen Durcheinanders aus Kinderschlafsäcken, Kleiderbeuteln und Spielzeugkisten das nagende Gefühl, etwas Wichtiges nicht bedacht zu haben, doch ich war zu müde, um zu
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