Ich bin alt und brauche das Geld
Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und hygienische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, obwohl ich mich restlos zerschlagen fühlte, ungefähr so, als hätte ich nur zwei Stunden geschlafen. Höchstens. Wenn meine neue Küchenuhr richtig ging, war es halb sechs. Und es war Sonntag.
Paulinchen war ebenfalls schon aufgestanden, sie hatte sich sogar bereits allein angezogen und gekämmt. Ihr kleines Gesicht strahlte, als ich sie dafür lobte, und sie half mir eifrig, den Tisch fürs Frühstück zu decken und hinterher in den Reisetaschen nach frischen Sachen für ihren Bruder zu suchen. Sie ein bisschen bei kleinen Alltagsaufgaben einzuspannen schien mir die beste Methode zu sein, um sie von ihren Ängsten abzulenken.
Anschließend hatte ich alle Hände voll damit zu tun, Mäxchen davon abzuhalten, meine Wohnung zu zerlegen. Er bestand darauf, sich aus den immer noch herumliegenden Einzelteilen von Poäng ein Schiff zu bauen, damit er nach Afrika fahren konnte. Die Möbelpappe, die wir ordentlich an der Wand aufgeschichtet hatten, hatte er für die Segel eingeplant, aber dann gab es ein paar Konstruktionsprobleme, und alles war binnen Augenblicken im ganzen Wohnzimmer verteilt. Mit dem Eigensinn eines Dreijährigen beharrte Mäxchen darauf, dass er ein Schiff wollte, und dementsprechend war es so gut wie unmöglich, ihn anzuziehen. Er zappelte herum und war im Begriff, sich in einen mittleren Wutanfall hineinzusteigern, als ich ihm Socken überstreifen wollte.
»Meine Füße sind total warm«, schrie er zornig, obwohl sie sich wie kleine Eisklumpen anfühlten.
»Nein, du frierst«, sagte ich.
Dasselbe hätte ich gern über mich selbst gesagt, doch mir war heiß wie in einer Dampfsauna. Der Schweiß lief mir aus allen Poren, während ich auf dem Boden hockte und mit dem sich windenden Kind kämpfte und darüber nachdachte, wie ungerecht das Leben sein konnte. Kinder unter fünf Jahren kriegten nur bei vierzig Grad Fieber Hitzewallungen. Frauen um die fünfzig schon beim Sockenanziehen.
Aber die Socken mussten sein. Jedes Kind wusste, dass eisige Füße der erste Schritt zu einer Erkältung waren. Außer diesem hier, das sich aufführte, als würde es der schlimmsten Folter unterzogen.
Sein Protest kam als abgehacktes Geheul heraus. »Isss! Will! Keine! Sssrümpfe! Isss! Will! Ein! Sssiff!«
»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagte ich zu dem Kleinen.
Er verstummte verblüfft und hielt still. »Wo?«
»Draußen. Ich zeige sie dir nach dem Frühstück. Aber dafür musst du Strümpfe anziehen.«
»Welche Überraschung ist es denn?«, wollte Paulinchen wissen. Nachdem sie ausgiebig meine Schminkutensilien inspiziert hatte, saß sie nun mit diversem Barbie-Kram auf dem Sofa und sah interessiert zu, wie ich mich damit abplagte, ihrem kleinen Bruder Ringelsöckchen überzustreifen. Im Gegensatz dazu war die Montage sämtlicher IKEA-Kleiderschranksysteme ein Witz.
»Welsse denn?«, wiederholte Mäxchen die Frage.
»Das verrate ich nicht«, sagte ich. »Sonst wäre es ja keine Überraschung.« Außerdem muss ich mir erst eine ausdenken.
Endlich war es geschafft. Max hatte Socken an den Füßen, und ich musste mir eine frische Bluse anziehen, weil die andere durchgeschwitzt war. Ich hätte mich gern noch frisch gemacht, aber Olga blockierte seit geraumer Zeit das Bad, das Rauschen der Dusche schien nicht enden zu wollen. Es hatte keinen Zweck, mit dem Frühstück auf sie zu warten. Mäxchen zerkrümelte seinen Toast und beschmierte sich das Gesicht mit Marmelade, weil er es eilig hatte, das Essen hinter sich zu bringen, um die versprochene Überraschung zu sehen. Paulinchen befeuerte die Erwartung durch ständige Fragen.
»Ist es ein Tier? Oder was zum Essen? Oder zum Spielen?«
Ich hatte mir mittlerweile eine passable Überraschung überlegt und schwieg geheimnisvoll – inzwischen machte es mir sogar Spaß, und ich freute mich schon auf die Gesichter der beiden, wenn ich es ihnen vorführte.
Als wir gerade aufbrechen wollten, kam Olga aus dem Bad, mit nichts bekleidet außer dem Handtuch um ihren Kopf und einem Piercing an einer Stelle, die eindeutig nicht jugendfrei war. Für die Kinder schien der Anblick nichts Neues zu sein, sie sahen gar nicht weiter hin, als Olga völlig ungeniert an uns vorbeischlenderte und in der zum Gästeschlafzimmer umfunktionierten Abstellkammer verschwand.
Ich bemühte mich um einen unbefangenen Gesichtsausdruck. »Olga, ich will mit den Kindern raus«, rief ich.
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