Ich bin da noch mal hin
gewesen. Jede Meile, jede Kaffeepause und jeden Abend hatte ich in Gesellschaft von Hans oder Shelagh oder beiden verbracht. Darum erinnere ich mich nicht an die Landschaft hinter Astorga – meine beiden compañeros waren zu unterhaltsam, als dass ich meiner Umgebung viel Beachtung geschenkt hätte. Sehr wohl erinnere mich an Einzelheiten, an viele kleine gemeinsame Erlebnisse. Zum Beispiel daran, dass Shelagh uns abends Gespenstergeschichten erzählt hat. Und daran, wie Hans und ich im Mesón El Acebo fast vor Lachen platzten, als eine Pilgerin eine andere für schwanger hielt und fragte: »Wie geht’s dem Baby?«, woraufhin die andere Frau ganz perplex fragte: »Welchem Baby?« Und ich erinnere mich ganz genau an den Tag, an dem Hans sich den Hund schnappte.
Er war nach Ponferrada gewandert, während Shelagh und ich in Molinaseca im Fluss badeten. Als wir ihn nachmittags auf dem zentralen Platz von Ponferrada einholten, ging er mit einem Hund spazieren, den er »Pepe« nannte. Seitdem er in Manjarín (wo sich die Eigentümer jetzt nicht mehr trauen, Tiere zu halten) einen Welpen mit Wasser versorgt hatte, befand er sich auf einem Tierrechtsfeldzug. In El Acebo hatte er den Nachbarn des Mesón gezwungen, seinen Hund von der Leine zu lassen, damit er auf der Wiese herumtollen konnte. Und jetzt, in Ponferrada, hatte seine Protestaktion darin bestanden, dass er am helllichten Tag einen Hund entführte …
»Wo hast du denn den her?«, frage ich Hans, wütend angesichts der Unannehmlichkeiten, die ich kommen sehe.
»Er war am Ortsrand von Ponferrada an einen Pfosten angebunden. Ich konnte ihn doch nicht einfach dort lassen.«
»Wieso nicht? Hans, der Hund war dort angebunden, weil er jemandem gehört. Wahrscheinlich sucht man ihn jetzt gerade. Bringen wir ihn zurück.«
»Geht nicht. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, wo ich ihn gefunden habe«, behauptet er und sieht mich an, als wäre ich Cruella de Vil.
Wahrscheinlich hätte es noch schlimmer kommen können – er hätte auch 101 Dalmatiner stehlen können.
Ich bin unbestreitbar selbst eine Tiernärrin. Cleo, unsere Familien-Bulldogge, und mein Kaninchen Beauty habe ich fast genauso sehr geliebt wie Leeds United. Viel später habe ich meinem Wellensittich einen Gummibaum besorgt, damit er wenigstens eine Anmutung von tropischem Urwald in meiner Wohnung in Birmingham hatte. (Ich weiß, dass Wellensitticheaus Australien stammen, aber ein Eukalyptusbaum hat nicht in die Wohnung gepasst.) Eines Nachts verflog sich der Wellensittich im Blätterwald und landete im Becken meines Axolotl (ein Schwanzlurch). Als ich aufwachte und seine kleinen Flügel ausgebreitet auf dem Wasser treiben sah, weinte ich wie ein Kind, obwohl ich schon zweiunddreißig war. Danach schaffte ich mir kein Haustier mehr an. Den unschuldigen Axolotl schenkte ich noch am gleichen Nachmittag dem Universitätsaquarium.
Meine Referenzen als barmherzige Nachfolgerin des heiligen Franziskus von Assisi sind vielleicht nicht ganz so eindrucksvoll wie die von Hans-Peter Kerkeling. Aber in Ponferrada war ich es gewesen, die die bürokratischen Nachwehen von Hans’ Tierrettungsaktionen in Ordnung brachte, die mit der Polizei und einem offiziellen Hundefänger verhandelte, der den Hund in Gewahrsam brachte. Bis zum heutigen Tag hegt Hans die Vorstellung, dass Pepe in seinem neuen Zuhause fröhliche Possen treibt. Ich hingegen frage mich manchmal, ob sein bestürztes Herrchen immer noch die Außenbezirke der Stadt absucht in der Hoffnung, zwischen den hohen Malvenstauden Pepes rotes Fell zu entdecken.
Heute hielt ich mich auf der Plaza Mayor von Ponferrada nur einen Bruchteil der Zeit auf, die wir 2001 brauchten, um Abschied von Pepe zu nehmen. Morgens musste ich über den Fluss Boeza nach Ponferrada hinein – und über den Fluss Sil wieder hinausgehen. Nachmittags überquerte ich den höchst bemerkenswerten Fluss Cúa am Rand von Cacabelos. Aber als Christina von »The Way« erzählte, hatte ich mich an keinen der großartigen Flüsse des Camino erinnern können. Schon allein an diesem Tag hätte ein erschöpfter Pilger genug Gelegenheit zum Ertrinken gehabt. Und erschöpft war ich. Dreiundzwanzigeinhalb Kilometer von Molinaseca nach Cacabelos waren genug für diesen Tag, aber ohne meinen Leistungskontrolleur Bob stapfte ich stoisch weiter durch die Weingärten auf Villafranca del Bierzo zu.
Als ich durch die Puerta del Perdón (Tür der Vergebung) die Santiago-Kirche in Villafranca betrat,
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