Ich bin da noch mal hin
Nationalmannschaft im WM-Finale 2010. Spanien, dessen war ich mir in diesem Moment umso sicherer, hatte Deutschland ebenso wenig entgegenzusetzen wie zuvor England und Argentinien.
Bob und ich rollten über die Naivität unserer amerikanischen compañeros die Augen. Wenn sie so weitermachen, dachte ich, dann müssen wir sie als unterqualifiziert aus dem Fanklub ausschließen. Jedes Mal, wenn Spanien an den Ball kam, sprangen Christina, Noah und Isaac voller Erwartung und Illusionen auf.
»Na los, Spanien vor, ihr schafft es!«, riefen sie.
»Nein, sie schaffen es nicht! Setzt euch hin!«, riefen wir zurück.
»Die Deutschen schlafen noch, das ist alles!«, erklärte ihnen Bob.
»Ja, wenn sie erst aufwachen, sind die Spanier geliefert!«, trumpfte ich auf.
»Was ist da los, Bob?«, fragte ich ihn, als Christina nicht hinhörte.
»Keine Ahnung. Scheint nicht die gleiche Mannschaft zu sein, was?«
Christinas Jungs waren bereits auf den Füßen, als Carles Puyol, Barcelonas kampferprobter Innenverteidiger, ungehindert in den deutschen Strafraum rannte und den Ball ins Netz donnerte. Mit dem Kopf! »!Un cabezazo de oro!« (Ein goldener Kopfstoß!), nannte die galicische Presse das Tor später. Der fünfzehnjährige Isaac warf sich in die Arme eines unbekannten Einheimischen, der siebzehnjährige Noah warf die Arme in die Luft und brüllte wie ein Wilder. Christina jubelte ihren unbeirrbaren Schlachtruf lauthals heraus.
»Na los, Spanien vor! Ihr schafft es!«, schrie sie.
Und sie schafften es wirklich. Spanien, nicht Deutschland würde am Sonntag darauf im WM-Finale gegen die Niederlande antreten.
»Zeit zum Abschiednehmen«, schrieb Hans von seinem roten Ledersofa aus.
Es tat mir leid für Hans, Ewelina und das deutsche Volk, aber für mich gab es eine Genugtuung, von der sie nichts ahnten. Puyols cabezazo de oro war an genau dem Spieler vorbeigeflogen, der es am meisten verdient hatte – einem gewissen Manuel Neuer.
Jetzt sind wir alle Spanier.
Donnerstag, 8. Juli 2010
Ich wandere 20,1 Kilometer von Villafranca del Bierzo nach Ruitelán
Es war noch dunkel, als ich heute Morgen um 6 Uhr 15 Christina und ihre Jungs auf dem Platz traf. Noah und Isaac gingen vor uns los, ohne über den Weg Bescheid zu wissen, während Christina und ich erst in ihrem Führer unsere Möglichkeiten studierten. Von Villafranca aus gibt es zwei Routen: eine flache Straße durch den Talgrund und einen Pfad, der an der Hangkante aufsteigt, dann wieder abfällt und bei Trabadelo, in zwölf Kilometer Entfernung, auf die Straße trifft. Die obere Route ist eigentlich nur für etwas sportlichere Pilger gedacht. Wir wählten sie wegen der Aussicht.
Fünf Minuten später bereuten wir unsere heroische Entscheidung schon wieder, als drei winzige Hündchen aus einem Garten gerannt kamen und unsere Fersen und Schienbeine attackierten. Höher hinauf kamen sie nicht.
»Also wirklich!«, sagte Christina, nachdem wir das Revier der Hunde endlich hinter uns gelassen hatten. »Wir sind hier auf dem Camino! Die sollten ihre Köter besser unter Kontrolle halten!«
»Aber wir wohnen doch hier!«, kläfften die Hündchen hinter uns.
Wir stiegen stetig bergauf, bis die Straße unter uns nur noch eine winzige Schlangenlinie war. Dort war Hans 2001 entlanggewandert, während ich mich für den anspruchsvolleren Weg entschieden hatte. Er hasste Hügel, da seine Knöchel sowohl beim Bergauf- als auch beim Bergabgehen schmerzhaft nach innen knickten. Aber wir hatten trotzdem beide unser Fett abbekommen. Er hatte einen Vormittag lang den gefährlichen Autoverkehr ertragen müssen, und ich hatte mich in einem tiefen, dunklen Wald verirrt, der eher in die bedrohliche Welt von »Pans Labyrinth« gepasst hätte als auf den Camino. Als wir nach diesen Prüfungen schließlich in Trabadelo ankamen, waren wir beide schlecht gelaunt. Ihn hatte ich noch nie so zornig gesehen, und auch er erlebte zum ersten Mal, wie mies ich drauf sein konnte. In einem Gartencafé voller Zwerge hatten wir uns wieder beruhigt, um anschließend gemeinsam nach O Cebreiro weiterzuwandern. Von hier oben aus konnte ich die Gartenzwerge nicht sehen. Ob sie wohl noch da waren, wenn wir heute in Trabadelo eintrafen?
Christina sprintete voraus, um ihre Söhne einzuholen, übersah jedoch Noah, der auf einem kleinen Hügel am Waldrand gerade den Yoga-Sonnengruß machte.
»Hallo!«, rief ich. »Deine Mama hat dich nicht gesehen. Sie wird sich fragen, wo du bist.«
»Hallo! Musste mich ein
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