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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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Amerikanern Uruguay an. Bob saß, in der unberechtigten Furcht, Uruguay könnte den Spieß umdrehen, zwei Stunden lang kerzengerade mit verschränkten Armen da, fast ohne sich zu rühren oder den Mund aufzumachen. Um zehn Uhr, als Bob und Pedro in Hochspannung Uruguays Gegenangriff verfolgten, kamen zwei Männer von der Sheffield-Gang herein und bestellten am Tresen lauthals eine Flasche Rotwein. Sie trugen ihre Wanderkleidung und hatten die Rucksäcke geschultert. Wir anderen würden nach dem Abpfiff in die Herberge zurückgehen, diese beiden Pilger hingegen nahmen schon Kurs auf das nächste Ziel!
    »Pat«, sagte ich zu ihrem Freund, der während des Spiels neben mir gesessen hatte. »Sieh nur! Warum gehen deine Kumpel um diese Zeit los?«
    »Tun sie nicht. Sie kommen gerade erst an. Ich habe mich schon gefragt, wann sie wohl hier sein werden«, erklärte Pat.
    »Sie kommen erst an? Von wo?«
    »Von Riego. Wir haben dort in einem Restaurant zu Mittag gegessen. Wir vier sind dann losmarschiert, aber diese beiden sind geblieben und haben weitergetrunken.«
    »Sie haben den ganzen Nachmittag lang in Riego getrunken?«
    »Bestimmt, so wie sie aussehen.«
    »Und dann sind sie gerade eben, bei Dunkelheit, betrunken diese Schlucht herabgestiegen?«
    Ungläubig sah ich zu, wie die beiden alkoholisierten Männer aus Yorkshire durch den Raum stolperten und sich bemühten, den Blick auf den Tisch vor unserem Fanklub scharfzustellen. Der Mann mit der vollen Rotweinflasche schätzte die Höhe des Tisches falsch ein und stellte die Flasche so hart ab, dass es ihn fast selbst von den Füßen hob. Die Flasche blieb erstaunlicherweise heil, sodass er den Angriff auf seine Leber fortsetzen konnte.
    »Typisch englisch!«, flüsterte Pedro Bob zu, der mir diese Einschätzung am folgenden Morgen weitergab.
    Noch eine Truppe Engländer also, die sich in diesem Sommer blamierte. Ein Glück, dass Franz Beckenbauer das nicht sah.

Mittwoch, 7. Juli 2010
    Ich wandere 30,7 Kilometer von Molinaseca nach Villafranca del Bierzo
    Heute war der Tag, an dem ich endlich den Rat des Priesters aus der winzigen Kirche San Amaro in Burgos beherzigt habe.
    »¡No pensarlo! ¡Fuera!« (Nicht nachdenken! Raus!), hatte er 2001 zu mir, der letzten Pilgerin, die an jenem Morgen aufbrach, gesagt. Es mag neun Jahre gedauert haben, bis seine Botschaft angekommen ist, aber jetzt war ich zweifelsohne die Erste aus dem WM-Fanklub von gestern Abend, die sich im Eingangsbereich der Albergue Santa Marina einfand. Ich zog gerade die Stoffhüllen über meine lädierten Zehen, als Bob aus dem Schlafsaal kam, dicht gefolgt von der Familie aus San Francisco.
    Bob und ich hatten unsere Sonnencreme aufgetragen, bevor Christina und ihre Jungs damit fertig waren, und waren knappvor ihnen aus der Tür. Wir liefen durch die Weingärten – ich musste für jeden seiner langen Schritte zwei machen.
    »Schau«, sagte ich, »ich laufe doppelt so weit wie du nach Santiago. Das ist unfair.«
    Während er noch versuchte, meinen unlogischen Unsinn zu verstehen, zückte ich mein Notizbuch und begann die Landschaft zu beschreiben.
    »Darum brauchst du jeden Tag so lang«, sagte er.
    »Wie sonst soll ich mich daran erinnern, was ich gemacht habe?«
    »Du wirst damit aufhören müssen«, erwiderte er kategorisch, als er mich schließlich abhängte und über den Hügel in Richtung Campo verschwand.
    Schon zum vierten Mal hatte mich der »Jungkontrolleur« verlassen. Und dabei habe ich ihn erst am Freitag kennengelernt.
    Wieder allein, konzentriere ich mich auf die Lösung eines Rätsels, das mir nicht aus dem Kopf geht. Warum ist meine Erinnerung an 2001 so lückenhaft? Warum habe ich den Camino unberechtigterweise als »eine lange Wanderung durch ein heißes, brettebenes Weizenfeld« beschrieben und den Leuten erzählt, wenn sie richtige Landschaftseindrücke wollten, sollten sie nach Nepal fahren? Hinter Astorga habe ich kaum mehr eine Weizenähre gesehen, und die Etappe hinter Rabanal war Nepal gar nicht so unähnlich gewesen. Warum also hatte ich die außerordentlich abwechslungsreiche Landschaft des Camino so lange verleumdet? Endlich fand ich einen Grund, der mich überzeugte: 2001 war ich bis Astorga immer allein durch Spaniens Kornkammer gelaufen. Da keine Plauderei mich ablenkte, hatten sich mir die heißen Tage zwischen wogenden Getreidefeldern als unauslöschliche Bilder von Weizen und Hitze ins Gedächtnis gegraben. Ab Astorga hingegen war ich überhaupt nicht mehr allein

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