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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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war es 17 Uhr. 2001 hatten Hans und ich unter diesem Portal im Scherz verlangt, dass man uns sofort unsere compostelas aushändigte. Doch heutescherzte ich nicht, als ich die sello -Stemplerin in der dunklen Kirche ansprach.
    »Warum ist diese Pilgerreise so anstrengend?«, wollte ich von ihr wissen, als sie ein winziges Kreuz in ovalem Rahmen in mein credencial stempelte.
    »Es war Ihre Entscheidung zu kommen!«, blaffte sie mich an.
    Ein kleiner Stups hätte schon vollkommen genügt, um mich umzuhauen. Eine derart grobe Antwort hatte ich in dem geheiligten Kirchenschiff, in dem seit der Zeit von Papst Kalixt III. kranke Pilger die gleiche Absolution erhalten, die sonst nur am Grab des heiligen Jakob zu haben ist, nicht erwartet. Die Zeiten ändern sich, dachte ich.
    »Was haben Sie für ein Problem?«, fauchte mich die sello -Stemplerin an.
    Ein Problem haben wohl Sie!, fuhr es mir durch den Kopf.
    »Na ja, äh, ich bin diese Woche zu viel gewandert und wegen der Blasen verliere ich die Zehennägel. Und hier tut es mir auch weh, wie heißt das noch mal?«, fragte ich und zeigte auf meine Achillessehne.
    »¡Tendón de Aquiles!«, verkündete sie.
    »Äh, ja, meine tendón de Aquiles ist so geschwollen. Gerade habe ich für fünf Kilometer zwei Stunden gebraucht. In den Weingärten hatte es achtunddreißig Grad. Ich hätte sterben können«, sagte ich, ein vergeblicher Appell an ihr Mitgefühl.
    »Ohne Leiden geht es nicht«, sagte sie nüchtern.
    »Ach ja? Warum?«
    »Dies ist ein Weg, auf dem man Buße tut.«
    »Wozu ist Leiden gut?«
    »Es ist wichtig, damit Ihre Familie merkt, wie leid es Ihnen tut.«
    Ich war mir nicht bewusst, meiner Familie gegenüber irgendwelche Todsünden begangen zu haben. Womit hatte ich diese Qualen verdient? Dann, aus heiterem Himmel, war für die sello -Stemplerin unser Gespräch, das ins 15. Jahrhundert gepasst hätte, erledigt und sie kehrte zurück in die Gegenwart.
    »So dachte man eben früher. Heute glauben wir an all das nicht mehr«, sagte sie lächelnd und schüttelte mir kräftig die Hand.
    Eine solch krasse Kehrtwende hatte ich nicht mehr erlebt, seit die »zauberhafte« Kellnerin elf Tage zuvor in Boadilla unsere Tassen abgeräumt hatte.
    Unser WM-Fanklub aus Molinaseca hatte sich bereits auf dem Platz versammelt, als ich aus einer privaten Herberge abseits vom Zentrum dorthin gehumpelt kam. »Podemos« (Wir schaffen es), der überall in Spanien zu lesende Schlachtruf, würde nun wieder auf den Prüfstand gestellt, und zwar von der bislang beeindruckendsten Mannschaft der WM: Deutschland. Ewelina würde in Stuttgart mit angehaltenem Atem mitfiebern, und mit ihr ganz Deutschland. Für mich stand außer Frage, dass unser Gastland kein gleichwertiger Partner für die atemberaubend unterhaltsamen Deutschen war. Eigentlich, so meine Einschätzung, brauchte Spanien gar nicht erst anzutreten.
    »Los, Bob, gehen wir rein«, forderte ich meinen Freund auf, der auf der überfüllten plaza draußen vor einem Restaurant saß.
    Bald gesellten sich Christina und ihre beiden Söhne zu uns, die sich wahnsinnig freuten, die WM in Spanien mitzuerleben, wo Fußball etwas gilt und nicht gegen Baseball verblasst.
    »Anne, draußen ist jemand, der gern mit dir sprechen würde«, flüsterte Christina verstohlen, als wäre sie eine Geheimagentin.
    »Warum braucht er dazu eine Erlaubnis?«
    »Er will dich nicht ungefragt stören. Er hat bloß zu mir gesagt: ›Weißt du, wer sie ist?‹«
    »Und, weißt du es?«, witzelte ich.
    »Ich weiß es! Matthias hat es mir gerade erzählt«, sagte Christina und lachte über ihre Vermittlerrolle. Christina winkte Markus heran, der mir den Erfolg von Hans’ Buch gerade bei jungen Deutschen erklärte.
    »Viele junge Leute suchen nach einem Sinn in ihrem Leben, der aus mehr als Arbeit besteht«, meinte er in einem Englisch, das um Klassen besser war als das eines durchschnittlichen englischen Fußballspielers.
    »Glaubst du, dass die meisten Deutschen wegen Hans’ Buch hier sind?«, fragte ich.
    »Nein, das Buch ist nicht der Grund . Aber es war für uns eine Anregung, in welche Richtung wir weitersuchen können.«
    Das ist eigentlich die Quintessenz dessen, was deutsche Pilger auf dem Camino erzählen – Hans’ Buch ist nicht die Ursache ihrer Suche, aber doch der Anstoß für die Wanderung durch Spanien. Auf diese inspirierende Wirkung von »Ich bin dann mal weg« kann Hans wirklich stolz sein – so wie bald auch auf das Vorankommen seiner

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