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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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Logroño hinter mir lasse, statte ich der Kirche Santiago el Real einen letzten Besuch ab. Die Sünderin aus der Bibelgeschichte weint immer noch ihre heißen Tränen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sie sich wieder fangen wird – auch mein Kummer vom Vortag ist verflogen. Wie merkwürdig – die Spitze des Wanderstabs des heiligen Jakob im retablo scheint zu leuchten. Das muss ein Sonnenstrahl sein, der irgendwo von oben durch das Dachgebälk dringt. Ich kann aber beim besten Willen nicht ausmachen, woher der Sonnenstrahl kommt. Was ist das bloß? Das war gestern noch nicht zu sehen, ganz bestimmt nicht. Es funkelt wie ein Stern. Jetzt muss ich wirklich gehen, sonst fange ich noch an, an Zeichen und Wunder zu glauben.
    Kaum schreite ich durch die Puerta del Camino, das Tor der Stadtmauer, das in den modernen Teil des Ortes führt, da beginnt es zu regnen. Zwei Stunden lang prasseln Regentropfen wie scharfe, kalte Pfeile in mein Gesicht. Doch mit jedem Schritt lasse ich die Stadt weiter hinter mir, und allmählich lässt auch der Regen nach. Nun sehe ich die Hügel links und rechts des Wegs, adrett mit Reihen von Weinreben bepflanzt. Die Trauben sind zum Greifen nahe. Ich wandere durch die Weinfelder von La Rioja, endlich auf dem Weg der Wanderer.
    Einige durchnässte Pilger haben sich unter einer Plane zu einem Picknick inmitten der Weinstöcke versammelt. Ich knabbere an einem Keks und verfolge, wie El Peregrino Pasante , ein Mann mit weißem Rauschebart, vor den tropfnassen Zuhörern seine Gedanken entwickelt. Niemand spricht mich an, und einen Augenblick lang frage ich mich, ob man mich überhaupt bemerkt hat. Meine Angst, immer noch so geisterhaft zu sein wie als Radfahrerin, verfliegt im Nu, als eine Frau mich mit einer freundlichen Geste einlädt, Platz zu nehmen und mitzuessen. Zufrieden, mit der flüchtigen Welt der Pilger in Kontakt gekommen zu sein, schlage ich ihr Angebot aus und steige aufdie kleine Anhöhe, einem Geräusch entgegen, das nur eine Ursache haben kann – die A 12. Ein Maschendrahtzaun trennt mich vom Verkehr, der dort in einem Graben durch den Nieselregen rauscht. Ich beschaue mir die Autos von oben, als entstammten sie einer ganz anderen Dimension. Und so ist es ja auch.
    Navarrete liegt jenseits der Weinfelder auf der anderen Seite der Straße. Bibbernde Pilger schälen sich im Foyer der Herberge aus ihren tropfnassen Ponchos und nesteln aufgeweichte Schnürsenkel auf. Unser ehrenamtlicher hospitalero Paco besteht vernünftigerweise darauf, dass wir alle unsere Stiefel mit den dicken Lehmklumpen aus den Weinfeldern auf den Schuhregalen abstellen, bevor wir die uns zugewiesenen Betten ein Stockwerk höher aufsuchen. Meins ist die Nummer 7 in Schlafsaal 1. Dort angekommen stelle ich fest, dass sämtliche Kleider in meinem Rucksack feucht geworden sind. Ich sage es Paco, als ich unter Vorlage meines gestempelten credencials die fünf Euro Übernachtungsgebühr entrichte, und der geht mit mir zum Trockenraum. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem großen, schlanken Mann vorbei, der im Esssaal eine Schaumstoffmatte ausgerollt hat und auf dem Kopf stehend inmitten der kauenden und schlürfenden Pilger gelenkig Yogaübungen vollführt. Ich beschließe, dass ich in der Kneipe nebenan zu Abend essen werde.
    Es gehörte gewiss nie zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, neben einem Wäschetrockner zu sitzen, doch im Augenblick beobachte ich die herumwirbelnde Wäsche ebenso zufrieden wie eine andere Pilgerin, Kim aus Korea.
    »Wie haben Sie denn das gemacht?«, fragt Paco Kim auf Spanisch, halb überrascht, halb verärgert.
    Die junge Pilgerin schaut ihn erschrocken an. Auch ich frage mich, was Kim wohl angestellt haben kann.
    »Er möchte wissen, wie du die Maschine angestellt hast«, sage ich zu ihr auf Englisch.
    »Nur der hospitalero darf den Trockner einschalten. Und überhaupt, wie haben Sie das bloß hingekriegt?«, fährt Pacofort und beugt sich über das Schaltbrett, als hätte Kim den Zugang zu Narnia gefunden. »Ein Wunder auf dem Camino«, würde ich am liebsten rufen, um Kim aus der Klemme zu helfen. »Sie hat bloß mit den Fingern geschnippt, und schon lief wie von Zauberhand das Trockenprogramm 4 an. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
    »Er sagt, dass nur er die Maschinen bedienen darf. Wie hast du das überhaupt gemacht?«, frage ich sie stattdessen.
    »Oh, äh, nun … ich habe das da gedrückt. War das nicht in Ordnung?«, fragt Kim ängstlich.
    Paco und ich

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