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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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Straße bald von Urin, Regen und Tränen überschwemmt sein. Am liebsten würde ich Hans die berühmte Verszeile von Stevie Smith schicken: »I’m drowning, not waving« (Ich ertrinke, ich winke nicht), gebe aber schließlich dem Melodram den Vorzug und tippe:
    »Ich stecke in einer Krise. Radfahren zu gefährlich. Ich gebe auf.«
    Die Hunde und ihr Besitzer sind um eine Ecke verschwunden und haben mich unter dem riesigen Steinrelief über der Kirchentür, das Santiago Matamoros (was so viel wie Maurentöter heißt) darstellt, allein gelassen. Die Kirche ist leer, und keiner hört, dass von Hans eine SMS zurückkommt.
    »Ok … ruhig Blut! Lass dir nur Zeit … mach ein paar Tage Pause! Erzwing es nicht … lass es laufen. Und denk bloß nicht daran aufzugeben!«
    Ein paar Tage pausieren? Das geht nicht! Ich habe schon so oft unterbrochen, dass ich das Gefühl habe, hinter meinen Ausgangsort zurückgefallen zu sein. Das kann Hans natürlich nicht wissen, denn ich habe ihm bisher nichts von dem »Fahrraddebakel« erzählt, sondern gehofft, dass das Blatt sich wendet.
    »I’ll let you have all the outcomes of the England plays. (Ich lasse dich immer wissen, wie die England-Spiele ausgegangen sind.) Werden aber nicht allzu viele Ergebnisse sein, denn … Deutschland wird die WM gewinnen! Ultreya Pilgerin! Alles Liebe, Hans.«
    Was Deutschlands WM-Sieg betrifft – was versteht er schon von Fußball? Mein nächster Versuch, vernünftig zu klingen, steht in krassem Widerspruch zu meiner Behauptung, schon so gut wie tot zu sein. Aber ich kann es mir einfach nicht verkneifen, zum Abschluss noch ein bisschen zu jammern.
    »Ok. Ich werde heute Pause machen. Das Fahrrad stehen lassen und morgen zu Fuß weitergehen. War schrecklich. Muss dauernd weinen.«
    »Stell dir vor, ich wäre da … :--) Lächle! Sofort! England wird die WM gewinnen! Ok?!«
    Es ist unmöglich, mir Hans hier vorzustellen – das einzige Fahrrad, auf dem ich ihn je gesehen habe, ist das Fitnessgerät in seiner Wohnung, auf dem er ein paar Minuten in die Pedale tritt, um dann abzuspringen und mit einer Zigarette wieder zu Atem zu kommen. Aber sein grotesker Scherz über England ringt mir eine bittersüße Grimasse ab. Zwar lächle ich nicht sofort, wie er es verlangt, aber immerhin habe ich aufgehört zu weinen. Im Unterschied zu der verzweifelten Frau in der Bibel, die auf dem Lesepult unter den Altartreppen liegt. Auf dem kolorierten Bild fließen ihre Tränen so reichlich, dass sie mit ihnen Jesu Füße waschen kann.
    »Dein Vertrauen hat dich gerettet; geh hin in Frieden«, spricht Jesus und vergibt ihr ihre Sünden.
    Das ist es! Ich muss Vertrauen haben. Aber in was? In mich selbst, aber auch in andere. Alles, was ich bis hierher erreichthabe, ist durch die Hilfe anderer möglich geworden, und das Vertrauen in sie darf ich jetzt nicht verlieren. Der heilige Jakob auf dem retablo hinter dem Altar grüßt mich aus seiner gemütlichen Nische. Irgendetwas an seinem Stab lässt ahnen, dass man den Camino zu Fuß bereisen sollte. Es ist Zeit zu gehen.
    Auf dem Weg nach draußen bleibe ich vor einer Mater dolorosa stehen. Wie können Katholiken angesichts so unbarmherziger Qual ihren Humor bewahren? Ich zünde eine Kerze an und frage mich dann, warum es so verbrannt riecht. Der Ärmel meiner Jacke, des einzigen echten Fahrradbekleidungsstücks, das ich besitze, ist versengt. Dort, wo unbemerkt eine Flamme ihn angeleckt hat, zeigt sich eine kleine Brandspur. Maria tut ganz unschuldig, aber wenn das nicht ein Zeichen des Himmels ist, dass meine Fahrradtage vorbei sind, dann weiß ich auch nicht.
    Planeta Agua hat noch geöffnet, aber bevor ich hineingehe, brauche ich unbedingt einen Kaffee. Das Eingeständnis einer Niederlage erfordert Vorbereitung. Cafés und Kirchen gibt es in Spanien überall, wo man sie braucht, und so übe ich in der Eisdiele Chup Chup ein paar Türen weiter eine würdige Stellungnahme über meine Gründe ein, nicht mehr mit dem Fahrrad weiterzufahren. Der gut aussehende Angestellte im Planeta Agua ist nicht Jake Gyllenhaal, wie mir erst scheint, sondern heißt Guillermo. Dass er wie ein Filmstar aussieht und mein tränenverschmiertes Gesicht verhärmt wirkt, bringt mein Selbstvertrauen in den Keller. Zumal meine ehemals schicke Jacke, inzwischen mit Fahrradöl verschmiert und jetzt auch noch angekokelt, aussieht wie ein verknitterter Lumpen. Jedenfalls habe ich den angenehmeren Anblick, solange wir uns sprachlos anstarren und ich die

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