Ich bin da noch mal hin
Zehennägeln stoßen bei jedem Schritt vorn an die Wanderstiefel, aber solange wir uns unterhalten, kann ich die Beschwerden ignorieren. Ich schildere Dario ausführlich meinen Fahrradhorror, er wiederum erzählt mir von seiner letzten Romanze.
»Fünf Tage lang war ich mit einem französischen Mädchen unterwegs. Sie war sehr nett. Wir übernachteten in meinem Zelt. Sie hat mir geholfen. Mein Stativ ist sehr schwer, und sie hat es für mich getragen.«
»Du hast sie dein Stativ tragen lassen?«
»Ich hatte sie nicht darum gebeten, sie wollte es selbst so.«
Das überrascht mich nicht. Seine dunklen Augen in dem schönen, regenüberströmten Gesicht sind wirklich anziehend. Wenn man so gut aussieht und gleichzeitig so natürlich und freundlich ist, reißen sich die Frauen wahrscheinlich darum, das Stativ zu tragen. Ich selbst mache allerdings kein solches Angebot.
»Und wo ist sie jetzt?«
»Weg.«
Das Stativ wog also letztendlich doch schwerer als seine Schönheit.
Wir merken kaum, dass der Weg jetzt flach verläuft, aber als der Regen aufhört, liegt das Plateau schon ein gutes Stück hinter uns, und wir sind bereits mehrere Kilometer weit in die ungeheuer große Getreideebene des Pisuerga-Flusses vorgedrungen. Bald wird aus dem Pfad eine asphaltierte Straße, die uns zum einzigen Gebäude weit und breit führt, der EinsiedeleiSan Nicolás. Als ich den einzigen Raum der berühmten Herberge betrete, sehe ich sofort, dass er genau meiner Erinnerung entspricht. Ein langer Tisch erstreckt sich im Zentrum nach links zu einem Altar in einer bogenförmigen Nische am Ende. Rechts von der Tür stehen dicht gedrängt die Stockbetten in L-Form an der hinteren und seitlichen Steinwand. Mir kommen Bedenken, sie könnten alle schon belegt sein, denn ich habe mehrere Pilger im Garten ihre Wäsche aufhängen sehen, als Dario und ich uns näherten. Was, wenn kein Platz mehr für uns wäre?
»Hallo!«, sage ich laut zu zwei Frauen auf der anderen Seite des Tisches, als könnte mein Enthusiasmus mir ein Bett eintragen. Ich erkenne in ihnen die beiden Amerikanerinnen, die ich heute Morgen in Hontanas gesehen hatte. Eine von ihnen erwidert meinen Gruß, doch die Sitzende schaut mich nur gleichgültig an.
»Kann ich was zu trinken haben?«, bitte ich und greife nach der Thermosflasche mit Kaffee auf dem Tisch. »Wisst ihr, ob es noch Schlafplätze gibt?«
»Zwei Betten gibt es noch, die haben wir jetzt«, sagt die Stehende, die für beide das Reden übernimmt. »Aber meine Freundin weiß noch nicht, ob sie bleiben will oder nicht.« Ich tue mein Bestes, um ihr die Entscheidung zu erleichtern.
»Ach, das kann ich mir vorstellen«, sage ich. »Du würdest wahrscheinlich gern in Itero WM gucken, oder?«
»Das ist mir so schnuppe wie nur irgendwas«, erklärt die immer noch Sitzende mit höhnischem Grinsen.
»Sollte es aber nicht«, sage ich fröhlich. »Die USA sind jetzt an der Spitze ihrer Gruppe, noch vor England. Morgen spielt ihr in der Finalrunde gegen Ghana. Das ist ein Riesenerfolg für die Staaten, wirklich beeindruckend.«
»Ist mir trotzdem schnuppe wie sonst was«, entgegnet sie.
Jetzt habe ich es kapiert.
Ich drehe mich zu Dario um, der gerade mit Christian, dem hospitalero , spricht, als plötzlich die Unschlüssige der beiden Frauen aus der Herberge stürmt und sich ins nächste Dorf aufmacht. Dario bietet mir an, dass er auf dem Boden schlafen könnte, und ich werfe triumphierend meinen Rucksack auf das letzte freie Bett.
»Hi, ich bin Jodie«, grüßt mich die zurückgebliebene Amerikanerin mit ausgestreckter Hand. »Es tut mir leid, aber meine Freundin und ich haben gerade ein angespanntes Verhältnis. Lisa und ich haben manchmal unterschiedliche Ansichten was die richtige Herberge betrifft.«
»Ah, ich verstehe.«
Später, als ich meine Kleidungsstücke, die ich heute beim Wandern getragen habe, durch den Garten zu der urigen Wasserpumpe trage, höre ich schallendes Gelächter aus dem daneben liegenden Rosenbeet. Ich lasse meine Waschschüssel fallen, bevor ich die Pumpe erreicht habe, und humple barfuß hinüber zu der fröhlichen Gruppe. Eine der Frauen behandelt ihre Füße mit Nadeln, Baumwollfaden, Creme und Gaze aus ihrem Erste-Hilfe-Set von der Größe eines kleinen Koffers. Ich setze mich zu ihr und strecke meine nackten Beine im kühlen Gras aus.
»Hallo! Ich bin Anne. Darf ich mich dazusetzen?«
»Bitte, gern. Ich bin Lynn und das ist mein Mann Steve und unsere Freundin Cathy.«
»Woher
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