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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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rückwärts, um meine Sehne zu entlasten und nicht sehen zu müssen, wie weit es noch bis zum Gipfel ist. Mir fällt eine Geschichte ein, die Ian und Alison mir vor drei Tagen in Burgos erzählt haben, als wir gerade mal nicht über Heilige diskutierten.
    »Hast du die Kanadierin schon getroffen, die verkehrt herum geht?«, hatte Ian mich gefragt.
    »Rückwärts? Mein Gott! Was für eine Untat will sie denn damit sühnen?«, hatte ich zurückgegeben.
    »Nein, nein! Nicht in diesem Sinn verkehrt herum. Ich meinte, sie geht von Santiago nach Saint-Jean.«
    »Ach so«, entgegnete ich, fast ein wenig enttäuscht, dass es sich doch nicht um einen echten Fall moderner Extrem-Buße handelte.
    Noch lachend bei dem Gedanken an eine Rückwärtspilgerin, drehe ich mich um und entdecke ein rötliches Ziegeldach auf einem Holzgestell gleich über mir. Ach bitte, lass das den Gipfel sein. Er ist es. Ich bleibe unter dem Dach stehen, um mir anzusehen, was ich geleistet habe, und stelle fest, dass der gesamte steile Hang unter mir terrassiert ist. Meine Gedanken wandern zu den Bauern, die hier Pionierarbeit geleistet haben, und zu Hans, der 2001 hier heraufgestiegen sein muss, genau wie ich in Gesellschaft von Madison, Lori und Brad. Wie hat er das allein geschafft? Er hasste Hügel, ob aufwärts oder abwärts, und ich kann mir nicht vorstellen, wie er ohne mich hier heraufgekommen ist. Er muss es aber bewerkstelligt haben, denn weit und breit gibt es weder Bushaltestellen noch Bahnlinien.
    Ein heftiger Wind peitscht über das zerstrubbelte Plateau mit den Steinhaufen und hoffnungsvoll zwischen dem wilden Gras gepflanzten Birken- und Kiefernschösslingen. Unregelmäßig eingestreute Gerstenfelder erinnern an die Zivilisation, doch das reicht nicht, um mir das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Hier oben, wo die Flora einen harten Kampf führt, fühle ich mich unter dem dunkelnden Himmel sehr allein. Ich schreite mit großen Schritten über das Plateau, doch an seinem Ende bleibe ich stehen, verzweifelt, obwohl ich diesen Ortgleich hinter mir lassen werde. Ein Mensch! Ein dünner Mann mit schwarzem, lockigem Haar kauert mit dem Rücken zu mir im Gras. Er späht durch den Sucher einer auf einem Stativ montierten Kamera.
    »Hallo!«, rufe ich.
    Der junge Mann fährt auf und rennt wie von der Tarantel gestochen auf mich zu.
    »Hallo«, sagt er. »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Es ist schrecklich hier oben, oder?«
    »Oh nein, mir gefällt es. Was stört dich?«
    »Es ist zu öde. Solche Orte bedrücken mich. Die Atmosphäre ist so düster. Aber was machst du hier oben?«
    Er erzählt mir, dass er seine Reise auf dem Camino filmisch festhält und gerade den Blick nach San Nicolás hinunter aufnahm, als er mich rufen hörte. Inzwischen regnet es in Strömen, und ich stelle meinen Rucksack ab, um den Plastikumhang herauszufischen, den ich beim Kauf in Nájera zuletzt in der Hand hatte.
    »Entschuldige«, sagt er. »Ich muss meine Kamera abdecken. Sie ist sehr teuer.«
    Als er zurückkommt, trägt auch er einen Regenponcho, der den Rucksack bedeckt. Wir nehmen unser Gespräch wieder auf.
    »Wie heißt du?«
    »Dario. Ich komme aus Rom.«
    »Dario? Wie schön! Wie Dario Fo.«
    »Ja, nach ihm bin ich benannt. Mein Vater mag ihn sehr gern.«
    »Ich auch! ›Zufälliger Tod eines Anarchisten‹ hat mir wahnsinnig gut gefallen. Ich habe es zu meiner Studentenzeit in London gesehen. Einfach toll!«
    Ich suche in meinem Gedächtnis nach weiteren Stücken von Dario Fo, merke aber, dass ich nur dieses eine kenne.
    »Ich heiße Anne, nach der heiligen Anna«, erkläre ich in Erinnerung an das Gemälde in Castrojeriz. (Nicht, dass meine Mutter mich wirklich nach der Mutter der Jungfrau benannt hätte).
    »Schön, dich kennenzulernen, Anne. Gehst du auch nach San Nicolás?«
    »Ja. Ich habe den Camino vor ein paar Jahren schon einmal gemacht und möchte sehen, ob er wirklich so besonders ist, wie ich ihn in Erinnerung habe. Der hospitalero in San Nicolás wäscht einem übrigens die Füße. Wirklich ein Erlebnis.«
    »Ich habe davon gehört. Ich werde es filmen.«
    »Oh, frag bitte lieber vorher um Erlaubnis. Ich habe damals Schwierigkeiten bekommen, als ich es versuchte.«
    Ich denke nur an seine teure Filmkamera.
    Der Abstieg vom Plateau beginnt steil, und wir geben acht, auf dem roten Boden, der sich im strömenden Regen rasch in Schlamm verwandelt, nicht auszurutschen. Die Blasen unter meinen

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