Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
schlagartig verändert.
Sattes nordeuropäisches Grün, so weit das Auge reicht, und auch das Klima wird spürbar atlantisch. Galicien ist so ganz anders als Kastilien und die kühlere Temperatur macht den »Camino duro« wirklich erträglich.
O Cebreiro ist grandios. Es erinnert mich an das Dorf von Asterix und Obelix, auch wenn hier alles keltischen Ursprungs ist. Und der Rundum-Panoramablick über das nicht enden wollende Grün ist umwerfend.
Unser kleines Zimmer in einem der kugeligen strohgedeckten Häuser, einem so genannten palloza , ist zum Verlieben schön. Anne und ich bedauern es sehr, dass wir nicht in den Flitterwochen, sondern in gänzlich anderer Mission unterwegs sind.
Als wir auf der Suche nach Troubadix einen Bummel durch das Dorf machen, entdecken wir zum Glück Sheelagh, die wieder mal auf verzweifelter aussichtsloser Zimmersuche ist. Gestern ist sie nicht weit gekommen und hat es nicht bis zum vereinbarten Treffpunkt geschafft. Sie konnte einfach nicht mehr weiter. Heute hat sie ein übermenschliches Pensum abgearbeitet, um uns einzuholen. Den Weg über die Landstraße N6 und dann über die Berge hat sie im Gegensatz zu meiner knatschigen englischen Bekannten und meiner quengeligen Wenigkeit in einem Rutsch samt Rucksack erledigt. Das hat an Sheelaghs Nerven allerdings sichtlich gezerrt; sie ist restlos ausgepowert. Also fragen wir nicht »How’s the baby?«, sondern lotsen sie in unsere Honeymoonsuite für drei und die Neuseeländerin ist vor Erlösung fast den Tränen nahe. Für heute aber ist sie erst mal außer Gefecht gesetzt.
Gedrungene ovale Steinhäuser im uralten Dorf O Cebreiro, wo man eher Asterix und Obelix erwartet als Pilgerscharen
Anne und Sheelagh finden, Galicien sehe aus wie Wales. Für mich sieht es aus wie in Irland. Da war ich zwar noch nie, aber so stelle ich es mir vor; da bin ich halt ganz wie Schnabbel, meine flüchtige Pilgerbekanntschaft aus Remscheid. Die Menschen sprechen hier das urwüchsige Gallego. Einiges klingt ein bisschen portugiesisch, manches auch vertraut italienisch. Mit Spanisch kommt man bei den älteren Ureinwohnern nicht sehr weit.
Die romanische Kirche im Ort beherbergt den galicischen Nationalschatz, den Heiligen Gral von O Cebreiro. Der Legende nach hat sich in dem Gotteshaus im vierzehnten Jahrhundert Folgendes zugetragen:
Der Priester bereitet die Weihnachtsmette in der stürmischen verschneiten Winternacht vor. Kurz bevor er mit der Messe beginnen will, hat sich immer noch kein Einwohner aus der Umgebung eingefunden, und so will er die Kirche wieder schließen. Da steht dann aber vor der Kirchenpforte doch ein Bauer aus dem Tal, der sich einsam durch die eisige Winternacht auf dem »Camino duro« nach oben gequält hat, um das Abendmahl zu empfangen. Der Priester will die Messe aber nicht für den einen dummen Bauern lesen und versucht ihn abzuwimmeln, der Bauer aber beharrt auf seinem Recht und setzt sich fest entschlossen in eine der Kirchenbänke. Notgedrungen liest der Mönch die Messe und reicht dem Bauern im Anschluss das Abendmahl. Da verwandelt sich der Wein in Blut und die Hostie in Fleisch. Der Kelch, der Wundergral, und die Patene, der wundersame Hostienteller, sind in der Kirche immer noch zu bewundern.
Natürlich beäugen Anne und ich die zwei verehrungswürdigen Gegenstände äußerst kritisch und die zweifelnde Forscherin fahndet durch die Panzerglasscheibe vergeblich nach Blutresten im Kelch. Die Kirche ist ein Juwel und wenn man sie einmal betreten hat, will man gar nicht mehr hinaus.
Anne durchquert das Kirchenschiff, bleibt vor einer schönen hölzernen Marienstatue mit Jesuskind wie angewurzelt stehen und fängt aus heiterem Himmel hysterisch an zu schreien: »Hans, come quickly!«
Ich stürze durch die Holzbänke polternd auf sie zu, da ich befürchte, dass sie kurz vor einem erneuten Kollaps steht. Sie allerdings grinst mich an und deutet winkend auf das mit der Hand segnende Jesuskind: »You see? Baby Jesus is waving at me! Das Jesuskind hat mir zugewinkt!«
Die anschließende internationale Pilgermesse ist herrlich unkatholisch und locker und ist vor allem für extrem zweifelnde Pilger wie Anne gedacht. Der junge Priester aus Lugo will vor allem mit den Menschen ins Gespräch kommen und so fragt er reihum jeden Besucher nach seinem Herkunftsland, um anschließend unaufdringlich vorzuschlagen, doch ein kurzes Gebet in der Muttersprache zu sprechen. Keiner traut sich so recht vorzubeten und die
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