Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
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Dieser Weg nach oben hat etwas von einem Schlachtfeld.
Anne bietet der älteren der beiden Damen an, ihren Rucksack zu tragen. Sprachlos starre ich Anne an, denn diese selbstlose Hilfe könnte ich, selbst wenn ich wollte, nicht anbieten. Keine fünfhundert Meter käme ich mit dem viel zu vollen prallen Rucksack der Dänin weiter. Auch ohne Gepäck stehe ich schon kurz vor dem Kollaps und japse pfeifend über weite Entfernungen vernehmbar vor mich hin.
Während sich die stolze Frau aus Aalborg den Film aus Tränen und Schweiß mit der lehmigen Hand aus dem Gesicht wischt, lehnt sie das unfassbar großzügige Angebot meiner Freundin jedoch trotzig ab; sie will es alleine schaffen oder gar nicht.
Auf 920 Höhenmetern, die wir mit puddingweichen Beinen kraftlos erklimmen, legen Anne und ich eine Pause in La Faba ein. Das ist ein winziger Flecken, kurz bevor der »Camino duro« noch einmal dramatisch an Härte zulegt. In der einzigen kleinen gekachelten Bodega lassen wir nahezu alle überzuckerten Softgetränke, die die Kühlbox hergibt, in uns hineinlaufen.
Eine gemischte Gruppe von acht jungen Tirolern betritt bald darauf ebenfalls kurz vor dem Kreislaufzusammenbruch den strahlend weißen Gastraum und macht sich über die Reste in der Kühlbox her. Während des Restesaufens erkennt mich einer der Tiroler und schlägt lautstark in seiner Gruppe Alarm. Ruck, zuck sitzen die schwitzenden Tiroler an unserem Tisch und herzen mich begeistert. Was für ein absurder Moment, um erkannt zu werden. Ich hätte mich jetzt nicht erkannt!
Auf einem Nachtflug saß ich mal schräg hinter Frank Elstner, den ich gut kenne, aber ich habe ihn nicht erkannt, bis er mich irgendwann angesprochen hat. Das war richtig peinlich, denn auch in natura sieht Frank Elstner im Prinzip genauso aus wie der Frank Elstner im Fernsehen, aber ich hatte ihn dort schlicht nicht erwartet und somit eben nicht erkannt. Um aufs Thema zurückzukommen: Elstner ist übrigens gebürtiger Österreicher.
Die Innsbrucker sind wirklich nett, unkompliziert, interessant und gut drauf. Also machen wir gemeinsam Fotos und ich male Unterschriften auf ihre Rucksäcke. Anne werde ich ab jetzt kein Theater mehr vorspielen können, denn die Tiroler erklären ihr mittlerweile auf Nachfrage in brillantem Englisch detailliert, was ich so alles genau mache.
Anne schaut mich die ganze Zeit breit grinsend an.
Als wir später weiterwandern, immer steiler bergauf, läuft sie vor mir und sagt fast vorwurfsvoll erst mal gar nichts. Auch um Atem zu sparen, nehme ich an. Einer Schuld bin ich mir jedoch nicht bewusst, denn belogen habe ich sie ja nicht, sondern ihr nur eine zugegebenermaßen nicht unwesentliche Information vorenthalten. Irgendwann bleibt sie ohne Vorwarnung abrupt vor mir stehen, dreht sich mit den Händen in den Hüften zu mir um und verzieht ihr Gesicht so sehr, wie sie es eben nur kann: »Hans! How famous are you in Germany?« Wie berühmt ich in Deutschland sei, will sie wissen.
Da ich keine Luft und keine Lust habe, stammele ich nur: »Oh Anne! Come on! I don’t know!«
»They treat you as if you were Lothar Matthäus. Are you as famous as Matthäus?« Ob ich so berühmt sei in Deutschland wie Matthäus. Das Englisch in meinem Kopf wird gerade etwa so brillant wie das von Lothar. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas sagen soll, denn mir ist heiß und dieser Plausch passt nun überhaupt nicht in den mittlerweile galicischen Wald, also sage ich nichts und verziehe nur mein Gesicht, so wie es Anne sonst tut, aber die gelernte Forscherin lässt nicht locker: »Another question! Do you know Matthäus?« Anne hat noch eine Frage: Kennst du Matthäus? Und meine ehrliche Antwort ist: »Ja! Zwar nicht gut, aber... ja! Und das muss dir für heute als Antwort reichen!«
Anne schaut mich kurz an und triumphiert: »Then you must be very famous!« Für sie steht fest, dass ich sehr berühmt sein muss.
Worauf sie sich wieder umdreht und wortlos weiterwandert, als wäre nichts gewesen. Mein Vertrauen zu ihr wächst mit jedem weiteren Schritt, den wir gemeinsam tun. Auf eine Reaktion von mir wartet sie nicht, denn die nötigen Antworten gibt die blitzgescheite Frau Doktor sich heute selber.
Der Weg nach O Cebreiro gibt kurz vor dem Gipfel einen magischen Blick auf die vor uns liegende galicische Bergwelt frei und ich habe das Gefühl, nicht zwölf Kilometer, sondern tausende gelaufen zu sein, so sehr schmerzen die Füße und so sehr hat sich die Landschaft
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