Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
meisten blicken verlegen auf ihre lehmigen Wanderschuhe. Die erschöpfte Anne ist mittlerweile wieder kurz vorm Eindösen, da deutet der Priester auf sie und fragt, ob sie nicht ein Gebet sprechen wolle. Ich stupse sie an und sie springt wie eine Rakete hoch und sagt entsetzt in Spanisch: »Qué? Was? Soy Inglesa. Ich bin Engländerin!«
Der Priester ist hocherfreut über den vermeintlich freiwilligen Vorbeter und fordert Anne auf, eine Fürbitte in englischer Sprache vorzutragen. Die verzieht wieder ihr Gesicht zu einem verknautschten Kissen und läuft rot an. Irgendwas Unverständliches stammelnd, setzt sie sich wieder in die Bank und hat überhaupt nicht kapiert, worum es eigentlich geht. Also rüttelt sie konfus an mir mit der Bitte um Aufklärung, aber leider kann ich ihr auch nicht weiterhelfen, da ich mich von Lachkrämpfen geschüttelt kaum in der harten Holzbank halten kann. Ständig lache ich hier in den Kirchen! Gut, dass es der Institution nicht gelungen ist, mir das komplett auszutreiben!
Gegen Ende der Messe stehen die beiden in jeder Hinsicht total zermatschten Däninnen mit ihren prallen Rucksäcken doch noch in der Kirchenpforte. Na also, sie haben es auch geschafft!
Beim Abendessen erzähle ich dann auch Sheelagh auf ihre erneute Nachfrage bereitwillig alles, was sie über meinen Job zu wissen wünscht, und es wird wieder mal eine herrliche lange Nacht. Und Anne trinkt nur so viel Wein, wie sie auch verträgt.
Erkenntnis des Tages:
Es ist gut zu wissen, wer man ist!
13. Juli 2001 – Triacastela
Eins ist sicher: Hätte ich meine beiden rothaarigen guten Feen in León seinerzeit nicht getroffen, wäre ich wahrscheinlich nach Hause gefahren. In León hatte ich einen Tiefpunkt erreicht. Ich war es satt, mich mit niemandem unterhalten zu können, und jetzt benehmen Anne und ich uns schon wie ein altes Ehepaar. »Hast du den Zimmerschlüssel eingesteckt? Die Socken hängen noch im Bad, vergiss sie nicht wieder! Hast du deine Vitamine eingenommen?«
Aber es gibt keinerlei Stress, denn alles geschieht ohne dass einer von uns fordern oder drängeln würde. Jeder bleibt er selbst. Und wer Lust hat, läuft halt alleine, ohne dass es Eifersuchtsdramen gibt. Abends, spätestens zum Essen, sieht man sich ja wieder. Heute herrscht galicisches Wetter: Regen, Kälte und dichter Nebel. Endlich, ich konnte die Hitze nicht mehr ertragen. Sheelagh hat sich bereits wieder im Morgengrauen abgesetzt, um am nächsten Etappenziel noch ein Dreibettzimmer zu ergattern.
Einundzwanzig Kilometer Marsch durch die Berge liegen bis nach Triacastela vor uns. Anne geht’s heute – aus Gründen, die nur sie etwas angehen – einfach nur dreckig. Sie hat kaum Lust zu reden, aber ich habe nicht den Eindruck, dass ihr der mürrische Schweigemarsch bekommt, also frage ich ihr Löcher in den Bauch. Sie war schließlich acht Monate in einem buddhistischen Kloster und da gibt es sicher noch eine Menge Interessantes zu erzählen.
Nach vielem Hin und Her – und eigentlich hat sie überhaupt keine Lust dazu – lässt sie sich aber doch durch meine Zähigkeit erweichen und gibt bereitwillig Auskunft. Fünf Stunden erteilt sie mir dann begeistert Unterricht in Buddhismus – und es ist großartig! Es entwickelt sich danach eine angeregte Diskussion und irgendwann nerven sie meine blöden Fragen auch nicht mehr. Ich habe auch viel über den Buddhismus gelesen, aber es ist doch etwas anderes, mit Anne, die von einem Rinpoche ausgebildet wurde, darüber zu debattieren. Es ist herrlich, dass diese Wissenschaft einen ständig dazu ermuntert, Kritik zu üben und durchaus an Inhalten zu zweifeln, um sie dann einer genauen Analyse zu unterziehen.
Aber auf meine entscheidende Frage scheint auch der Buddhismus keine Antwort zu haben. Warum geschieht alles? Why?
Der Einfachheit halber stellen sich die Buddhisten diese Frage gar nicht. Vielleicht ist das auch wieder typisch Deutsch: alles ergründen zu wollen und die Dinge nicht einfach so hinzunehmen, wie sie nun mal sind.
Es gibt bestimmt eine Antwort! Aber im Großen und Ganzen entspricht der tibetische Buddhismus inhaltlich dem, was ich mir so denke, und in seinem hermetischen Wissen erklärt er sehr schnörkellos die Dinge, die ich für mich als wahr entdeckt habe.
Auch die Reinkarnationstheorie muss man ernsthaft durchdenken. Es wäre ja durchaus vorstellbar, dass man, obwohl man sich nicht daran erinnert,schon Tausende Male gelebt hat. Ich habe ja auch nicht den Hauch
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