Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
einzigen Straße im Dorf.
Meine Wahl fällt auf die kleine Pension direkt gegenüber dem Konvent. Sie ist preisgünstig, gepflegt und im warmen Zimmer gibt es sogar eine Badewanne. In der guten Stube angekommen, breite ich zunächst mal meine nassen Habseligkeiten auf dem Boden und über der Heizung aus. Selbst das Geld und mein Reiseführer sind nass. Mein Knie tut jetzt bei jedem Schritt höllisch weh. Hoffentlich muss ich das Unternehmen nicht nach der ersten Etappe abbrechen. Kommt nicht in Frage! Im Ruhezustand merke ich ja nichts. Rauflaufen geht gerade noch, aber runter ist unmöglich und leider hat man mir das einzige freie Zimmer im ersten Stock gegeben. Ich habe ewig gebraucht, bis ich hier oben war, und hab vorsichtshalber unten gleich was gegessen; Calamares in der eigenen Tinte, so muss ich nachher nicht mehr runter und dann wieder rauf. In meinem desorientierten Reiseführer steht, es soll hier ein Lebensmittelgeschäft geben. Gibt es aber nicht. Mir ist ein Rätsel, wo ich morgen Verpflegung herbekommen soll. Und selbst wenn es irgendwo ein Lebensmittelgeschäft gäbe, würde ich morgen früh die Stufen runter ins Erdgeschoss womöglich ja gar nicht mehr schaffen.
Ich halte fest: Auf meine Weise habe ich heute einen Gipfel erklommen. Meine unteren Gliedmaßen sprechen eine eindeutige Sprache. Sie sind mittlerweile zu einem einzigen dumpfen Schmerz zusammengewachsen. Verhält es sich mit meiner Suche vielleicht so wie mit der Suche nach dem Gipfel im Nebel? Ich kann zwar nichts sehen, aber er ist da! Es wird ja wohl nicht an akutem Sauerstoffmangel liegen? Jedenfalls freue ich mich, in Spanien zu sein, und morgen geht’s weiter. Ich fühle mich so, als wäre ich heute durch einen nebeligen Geburtskanal auf den Weg geboren worden. Es war eine schwere Geburt, aber Mutter und Kind sind trotzdem wohlauf und die Nabelschnur ist durchtrennt! Von meinen orthopädischen Problemen sollte ich einmal absehen.
Erkenntnis des Tages:
Obwohl ich den Gipfel durch den Nebel nicht sehen kann, ist er doch da!
11. Juni 2001 – Zubiri
Heute Morgen sind meine Knieschmerzen so gut wie weggeblasen. Kann mein Knie fast schmerzfrei bewegen! Nach einem zünftigen Frühstück in der Gaststätte habe ich mich so gegen zehn Uhr auf den Weg gemacht, Richtung Zubiri, heute, laut meinem Kilometer zählenden Reiseführer, nur mal sechseinhalb Stunden Fußmarsch. Zur Abwechslung führt der Weg heute wieder über die Berge.
Da meine Wanderschuhe noch klitschnass sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als in meinen Badelatschen loszulaufen, die ich mir auf Anraten meiner sehr deutschen Touristenlektüre ursprünglich gekauft habe, um direkten Fußkontakt mit unsauberen Duschwannen zu vermeiden. Die schweren kanadischen Boots habe ich zum Trocknen an meinen Rucksack gehängt.
Was wäre ich nur ohne meine kanadischen Boots geworden?
Der Anfang des Weges ist einfach und schön zu gehen. Hinzu kommt, dass heute der Hochsommer ausgebrochen ist. Habe das Gefühl, die nasse Kälte von gestern auszuschwitzen. Der Weg führt mich durch wunderschöne Wälder, in denen es nur so von Schmetterlingen und Eidechsen wimmelt und andere Pilger leider nicht auszumachen sind.
Endlich kann ich auch mal das alpenländisch anmutende Bergpanorama genießen. Nur die Beschilderung des Weges ist heute eher chaotisch und einfallsreich. Man muss schon sehr aufpassen, um die obligatorischen, von Hand gepinselten gelben Pfeile auf der Straße, an Bäumen, Zäunen oder auf Steinen wahrzunehmen, damit man auf dem rechten Weg bleibt. Trotzdem stellt sich bei mir das Gefühl ein, nicht ich laufe in Latschen nach Santiago, sondern Santiago kommt mir heute in Siebenmeilenstiefeln entgegen!
Die ersten baskischen Dörfer, durch die ich komme, sind traumhaft schön. Das ganze Baskenland kommt mir vor wie ein riesiger Märchenwald. Der Baustil der Häuser ist fantasievoll. Eine Architektur, die sich zwischen Cochem an der Mosel und Timmendorfer Strand bewegt. Und ich frage mich – wie kann die ETA nur Bomben im Märchenwald legen?
Auf einem wunderschönen Höhenweg sehe ich zwölf riesige Greifvögel, die ganz dicht über mir kreisen. Ich zähle mehrmals nach und kann es kaum glauben. Ein majestätischer Anblick, den ich natürlich mit meiner Wegwerfkamera verewige! Ich habe keine Ahnung, ob es Adler in den Pyrenäen gibt. Selbst mein besserwisserisches Vademekum schweigt sich darüber aus; aber so jedenfalls sehen diese Vögel aus. Ich
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