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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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für den Tod einer Reihe von Menschen verantwortlich bin, und mussten daher von der realen Möglichkeit ausgehen, dass ich auch Sie töten könnte.»
    Albrecht presste die Hände flach auf seine Oberschenkel. Alles in ihm schrie danach, sie Freiligrath um den Hals zu legen, er war sich aber nicht sicher, ob er schon wieder die nötige Kraft dafür hatte.
    «Bei dem, was Sie jetzt spüren, handelt es sich übrigens um ganz gewöhnliche Wut», bemerkte der Traumfänger. «Ein erkennbar anderes Phänomen. Was nun Schwester Dagmar anbetrifft: Der Zustand, in dem sie sich befand, als ihr Blick auf die
Hyla arborea
fiel, war Ihren eigenen Sinnesempfindungen in physiologischer – also körperlicher – Hinsicht ausgesprochen ähnlich, vermutlich sogar stärker ausgeprägt.
    In pyschologischer Hinsicht dagegen trifft das nur höchst eingeschränkt zu. Die Gefahr, die vom Genuss einer mit Arsen versetzten Tasse Kaffee ausgeht, ist als
real
einzuschätzen, während der Anblick eines gepressten und getrockneten Laubfroschs nach aller menschlicher Erfahrung
keine
reale Gefährdung mit sich bringt.
    Einem Patienten, der unter einer sogenannten isolierten Phobie leidet, wie die Nekrophobie sie darstellt, ist es intellektuell sehr häufig klar, dass keine reale Gefahr besteht. Nur hat das eben keinerlei Auswirkungen auf die Schwere der Symptomatik.»
    Albrecht nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
    Die Hölle auf Erden, dachte er. Um einen toten Frosch.
    «Wobei nicht alle diese irrationalen Ängste das Leben entscheidend einschränken», betonte Freiligrath. «Je nachdem, auf welchen Gegenstand sie sich richten, können die Erkrankten unter Umständen ein nahezu normales Leben führen. Flugangst etwa wird bei vielen Betroffenen überhaupt nicht manifest, weil es sich je nach Lebenssituation ohne weiteres vermeiden lässt, jemals in ein Flugzeug zu steigen.»
    Albrecht nickte langsam. «Angst vor dem Autofahren wäre dagegen ein viel gravierenderes Problem», murmelte er.
    Mit einem Mal war er hin- und hergerissen.
    Einerseits spüre ich nach wie vor den fast unwiderstehlichen Impuls, dir deinen Frosch ins Maul zu stopfen.
    Andererseits: Beginne ich nicht tatsächlich, einige Dinge besser zu begreifen?
    Das Phänomen der Angst.
    Doch half das bei der Ermittlung?
    Er musste den Traumfänger zum Weiterreden ermutigen!
    «Wie kommt es zu einer solchen Angst?», wandte er sich an den Psychologen. «Zu einer isolierten Phobie?»
    Freiligrath hob die Augenbrauen. «Nun …» Er zuckte die Schultern. «Theorien gibt es wie Sand am Meer. Burnout, posttraumatische Belastungsstörung. Häufig reichen die Ursachen sehr weit zurück. Ein Erlebnis in früher Kindheit. Im Fall Schwester Dagmars vielleicht die bis heute unverarbeitete Konfrontation mit einem Toten. – Wann haben Sie Ihren ersten Toten gesehen, Herr Albrecht?»
    «Was?»
    «Würden Sie sich den toten Frosch gerne noch einmal ansehen?» Der Blick des Traumfängers war plötzlich verändert. «Würden Sie sich zutrauen, ihn anzufassen, diesen platten, verwesten, verformten toten Frosch?»
    «Ich …» Albrecht schüttelte knapp den Kopf. Ein Gedanke, noch ganz hinten in seinem Hirn, ein Bild …
    Auf einen Schlag begriff er, was vorging.
    Und sofort hatte er sich unter Kontrolle.
    «Ich kann nicht behaupten, dass ich mich besonders darauf freuen würde», erklärte er kühl. «Aber wenn Sie drauf bestehen, kann ich ihn auch ablecken.»
    Freiligrath betrachtete ihn. Sagte kein Wort.
    Wieder dieser Blick. Irgendjemand hat einen ganz ähnlichen Blick, ging Albrecht durch den Kopf, aber das war im nächsten Moment wieder weg. Stattdessen der Gedanke, der ganz hinten angeklopft hatte. Das Bild.
    Freiligrath schlug die Beine übereinander. «Bitte, Herr Albrecht. Erzählen Sie mir doch davon. Erinnern Sie sich an die Umstände? Wann haben Sie Ihren ersten Toten gesehen?»
    Reißendes braunes Wasser. Die Baumwurzel. Die Spinnenbande. David …
Boss, ich hab dich! …
Ver
dammt!
    Albrecht neigte den Kopf hin und her. «Lange her», stellte er fest. «Vielleicht mein Großvater. Da war ich elf oder zwölf. Tut mir leid. Keine Ahnung.»
    Freiligrath stand ganz langsam auf. «Sie entsinnen sich, Herr Albrecht? Wir beide haben eine Vereinbarung.»
    Schon war er am Tisch. Der Knopf für den Schwesternruf.
    «Halt!»
    Der Mann blieb tatsächlich stehen.
    «Kein Betrachter», betonte Jörg Albrecht, «kein Betrachter kann einen unvoreingenommenen Blick auf ein Bild werfen, wenn er

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