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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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warnte er.
    «Versuch’s trotzdem!»
    Ein Seufzer, Kopfschütteln.
    Vor uns die IKEA -Abfahrt. Zehn Minuten bis Bergedorf, wenn alles frei war. Ich hatte nicht den Fehler gemacht, vorher anzurufen, ob uns jemand für ein Gespräch zur Verfügung stehen würde. Was auch immer es nun mit den Konten auf sich hatte: In Fällen wie diesem war die Verdunkelungsgefahr unser größter Feind. Die zuständigen Kollegen waren bereits informiert. Ein Fingerschnippen, und sie würden Neverdings Konten einfrieren, von einer Sekunde auf die nächste.
    «Es gibt Möglichkeiten, Konten sozusagen unsichtbar zu machen», erklärte Matthiesen. «Das funktioniert natürlich nicht hundertprozentig, aber wer es drauf anlegt, kann es uns sehr, sehr schwer machen, nachzuvollziehen, wie welches Geld von wo nach wo gewandert ist. Genau das ist meist der Hintergrund, wenn eine Summe über mehrere Stationen läuft. Und tatsächlich waren auch in diesem Fall einige der Stationen praktisch unsichtbar.»
    «Aber du konntest trotzdem nachvollziehen, was passiert ist.»
    Pause. Rascheln. Ein Blick in den Schminkspiegel. Matthiesen sah von einem Ausdruck zum nächsten.
    «Das konnte ich», murmelte er. «Weil sich vor drei Tagen etwas verändert hat. Nicht allein, dass sie nicht mehr unsichtbar sind, nein. Das ist, als ob jemand mit dem ausgestreckten Zeigefinger …» Er schüttelte den Kopf. «Vor drei Tagen. An dem Tag, an dem Ole Hartung gestorben ist.»
    ***
    Es gab ein paar Leute in der Freien und Hansestadt Hamburg, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte.
    Etliche dieser Exemplare hatten wir direkt vor der Bürotür, auf dem Kiez, doch das war im Vergleich sogar die sympathischste Sorte von Totschlägern: Typen nämlich, die sich noch selbst die Hände schmutzig machten.
    Die wirklich gefährlichen Typen tragen Anzug und Krawatte, überall auf der Welt.
    Mit Focco Neverding war das nun schwierig.
    Der Mann hatte sich hochgearbeitet, seine Reederei praktisch aus dem Nichts aufgebaut – und er war dabei nicht unbedingt zartfühlend mit seinen Konkurrenten umgegangen.
    Doch das war eben nur der
eine
Focco Neverding. Man hätte auch sagen können, der
alte
Focco Neverding, wobei er inzwischen logischerweise mehr Jahre auf dem Buckel hatte. Der Mann musste über achtzig sein, doch es gab heute nur noch wenige Geschäftsleute, die den alten hanseatischen Kaufmann so verkörperten, wie der Inhaber der
Neverding Holding
das tat.
    Er hatte gelernt. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass der Mann in der ersten Hälfte seines Lebens einfach so viel Geld gescheffelt hatte, dass er es irgendwann selbst mit der Angst zu tun bekommen hatte. Wer wollte schon enden wie Ebenezer Scrooge aus Dickens’ Weihnachtsgeschichte? Die wenigsten.
    Und so war der neue Focco Neverding geboren worden.
    Der Mann, der aus eigener Tasche Kinderkrippen unterhielt und für den Nachwuchs aus Familien, die sich so was niemals hätten leisten können, Ferienzeltlager organisierte. Der die Tafel in Bergedorf quasi im Alleingang am Laufen hielt – finanziell zumindest. Im Sachsenwald war für Kinder, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht bei ihren Familien bleiben konnten, ein ganzes Dorf entstanden.
    Mit einem Wort: Wer sich mit Focco Neverding anlegte, musste vielleicht nicht damit rechnen, mit Zement an den Füßen im Hafenbecken zu landen – aber er durfte sich schon mal darauf einstellen, geteert und gefedert aus der Stadt gejagt zu werden.
    Ich verfluchte den Traumfänger.
    Ich verfluchte Jörg Albrecht.
    Am allermeisten verfluchte ich mich selbst.
    Ich sah das Gesicht unseres Herrn und Meisters vor mir, die Stirn voller Sorgenfalten, aus denen die Last der ganzen Welt sprach:
    Das Timing, Hannah.
Düster raunend.
Das Timing ist das Entscheidende.
    Unser Täter selbst gab uns die entscheidenden Informationen.
    Er gab sie uns exakt in jenem Augenblick, in dem er sich sicher sein konnte, dass wir zu spät kommen würden.
    Vor drei Tagen hatte irgendjemand dafür gesorgt, dass die Freiligrath-Neverding-Verbindung jedem ins Auge fallen musste, der einen schiefen Blick auf einen Kontoauszug des Traumfängers warf.
    Ein Hüsteln vom Fahrersitz. Wir waren vor ein paar Minuten von der Autobahn abgefahren und näherten uns nun dem Stammsitz der Holding, einem alten, reetgedeckten Hof in der schnuckeligsten Ecke von Bergedorf.
    «Was denkst du?», murmelte Nils Lehmann. Vielleicht lag’s ja am Licht – es war bedeckt, wie üblich in den letzten Tagen –, aber

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