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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Vertrauen entgegenbrachte. Dieselbe Stimme, die er heute Nachmittag eingesetzt hatte, als Jörg Albrecht ihm vom Ende der Spinnenbande berichtet hatte.
    «Herr Wolfram, ich möchte Sie bitten, an die damaligen Ermittlungen zurückzudenken. Lassen Sie sich Zeit! Erlauben Sie den Gedanken, Gestalt anzunehmen! Gab oder gibt es irgendeinen Punkt in den Wochen und Monaten Ihrer Nachforschungen, an dem Sie einen anderen möglicherweise Schuldigen erkennen können als denjenigen, der am Ende verurteilt wurde? – Nein, sagen Sie noch nichts! Denken Sie nach! Erinnern Sie sich!»
    Mit ganzer Aufmerksamkeit legte sein Blick sich auf den Mann, der vierundzwanzig Jahre damit zugebracht hatte, vor der Erinnerung an die Dinge davonzulaufen, die der Traumfänger ihm angetan hatte.
    Wolfram hielt die Augen geschlossen, doch Albrecht war sich sicher, dass er diesen Blick spürte. Er musste ihn einfach spüren, so intensiv, wie er war. Ein diamantgeschliffenes Seziermesser.
    Der Hauptkommissar drückte seine Finger in die Sessellehne. Er würde tun, was er konnte, um Wolfram zu helfen. Doch die Demütigung, ihm Kraft zu geben durch körperlichen Kontakt, wollte er dem Mann ersparen.
    So lange es möglich war.
    «Herr Wolfram?» Freiligraths Stimme klang weiterhin geduldig. «Sie denken nach? Kommt Ihnen irgendetwas zu Bewusstsein, das uns möglicherweise helfen könnte?»
    Diese sanfte, beruhigende Stimme. Doch Jörg Albrechts Amtsvorgänger zuckte zusammen, bei jedem einzelnen Wort. Der Hauptkommissar glaubte förmlich zu spüren, wie der kleine, graue Mann darum kämpfte, sich gleichzeitig dagegen wehrte, dass die Bilder, vor denen er sich so lange versteckt hatte, wieder Gestalt gewannen.
    Schließlich ein einziges geflüstertes Wort: «Nein.»
    Der Psychologe wandte die Augen ab und nickte wie zu sich selbst.
    «Das hatte ich befürchtet. Dabei bin ich mir sicher, dass Herr Wolfram das entscheidende Wissen besitzt. Das Problem ist, dass es ihm nicht länger zugänglich ist.»
    Albrecht sah ihn an. «Er hat es vergessen?»
    «Nein.» Ein entschiedenes Kopfschütteln. «Im Gegenteil. Sigmund Freud hatte hier ein einprägsames Bild: Die Methodik seines eigenen Metiers, der Psychoanalyse, sei derjenigen der Archäologie eng verwandt.»
    «Archäologie?»
    «Archäologie», bestätigte Freiligrath. «Freuds Paradebeispiel waren die Ruinen von Pompeji: Ein traumatisches Ereignis – der Ausbruch des Vesuvs hatte sie binnen kürzester Zeit mit einem Mantel aus Asche und Lava bedeckt. Das Antlitz der antiken Stadt gefror binnen Minuten, doch unter dem schützenden Mantel hatte es Bestand, jahrhundertelang, bis Archäologen es wieder freilegen konnten. Nichts hatte eine Chance, sich zu verändern, undeutlich oder verschwommen zu werden. Und nun, Herr Albrecht, denken Sie einmal an andere Städte aus dieser Zeit! An Köln, London, Rom …»
    Der Hauptkommissar legte die Stirn in Falten. «Diese Städte haben sich verändert», murmelte er. «Die alten Gebäude wurden abgerissen, aus den Trümmern neue errichtet. Von den antiken Bauwerken sind höchstens noch Reste vorhanden.»
    «Exakt.» Ein zufriedenes Nicken. «Und ganz genauso verhält es sich mit unseren bewussten Erinnerungen. Mit den Bildern aus unserer Kindheit etwa. Denken Sie an einen Ort, den Sie mit Ihren Eltern im Urlaub besucht haben! Wenn Sie als Erwachsener dorthin zurückkehren, werden Sie überrascht sein, wie sehr er sich verändert hat. Ein Wandel, der allerdings nur zum Teil auf Veränderungen vor Ort zurückzuführen ist. Das Bild
in ihrem Kopf
, Herr Albrecht, das Sie sich so oft in Erinnerung gerufen haben: Jedes Mal, bei jedem dieser Erinnerungsvorgänge, hat sich dieses Bild um eine Winzigkeit verändert.
    Genau das aber kann nicht geschehen, wenn ein Trauma die Erinnerung mit seinem schützenden Mantel bedeckt. Sie bekommt niemals die Gelegenheit, zu einem neuen Gebäude verarbeitet zu werden, in dem unser Verstand sich vielleicht wohler fühlt. Die Erinnerung bleibt erhalten, rau und scharfkantig, unbequem wie am ersten Tag.»
    Genie, dachte Albrecht. Und Wahnsinn.
    Was hätte dieser Mann leisten können, wäre er nicht …
    Wäre er nicht der Traumfänger geworden.
    «Und Sie glauben», fragte der Hauptkommissar, «dass es eine Möglichkeit gibt, diese Erinnerung wieder zum Vorschein zu bringen?»
    Ein knappes Nicken. Ein Feuer, das unvermittelt in Freiligraths Augen zu erwachen schien. «Genau das ist die Aufgabe der Psychoanalyse! Den oberflächlichen

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