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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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seelischen Abraum beiseitezuschaffen, um durch den Schlick und die Trümmer vorzustoßen in das unsichtbar, unkenntlich gewordene Darunter. Und dem Patienten zu helfen, es zu verarbeiten.» Die letzte Bemerkung klang deutlich weniger begeistert.
    Albrecht spürte eine Gänsehaut und musste sich beherrschen, nicht ungeduldig mit dem Fuß zu wippen.
    Er sah die Chance, die diese Möglichkeit bedeutete – doch er sah auch Horst Wolfram, die Lider geschlossen, noch immer.
    Aber er war sich sicher, dass der ältere Mann jedes einzelne Wort registrierte.
    «Herr Wolfram?», fragte er leise. «Wären Sie dazu bereit? Diese Erinnerung …»
    «We…» Die Stimme des älteren Mannes zitterte. «Wenn … wenn er mir sein Wort gibt, dass er uns Irmtraud …»
    «Lieber Herr Wolfram!» Übertrieben dramatisch schlug Freiligrath die Beine übereinander. «Ich kann Ihnen diese Dame nicht zurückgeben, weil sie sich nicht in meiner Gewalt befindet. Was wir aber tun können, ist, mit Hilfe Ihrer Erinnerungen Licht in die Zusammenhänge zu bringen. Auf diese Weise, das wage ich zu versprechen, werden wir noch heute Abend den Mechanismus dieses Falls klären, die Identität von Herrn Albrechts Täter und damit …»
    «Fangen Sie an!» Die Worte wurden rau hervorgestoßen. «Räumen Sie den Schutt beiseite!»
    Freiligrath hob eine Augenbraue. Ein fragender Blick zu Albrecht.
    Der Hauptkommissar nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
    «Gut», murmelte der Psychologe und faltete die Hände ineinander. «Um in eine tiefere Ebene des Bewusstseins vorzustoßen, ist es notwendig, den Abraum zu entfernen. Den Abraum der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit. Das Leben, das Sie heute führen, Herr Wolfram, seit ziemlich langer Zeit schon. Ich stelle mir vor …» Freiligrath schloss ebenfalls die Augen. «Ich stelle mir vor …»
    Jörg Albrecht sah von einem der Männer zum anderen. Einen Moment lang kam es ihm beinahe unpassend vor, dass er selbst die Augen noch offen hatte. Doch er wollte wissen, was auf diesen Gesichtern passierte: auf allen beiden.
    «Ich stelle mir einen Ort vor», murmelte Freiligrath. «Es ist kein freundlicher Ort. Industrielärm, Chemiegestank in der Luft. Ein Ort, an dem sich niemand freiwillig aufhält. Sie haben sich in diesen stinkenden Winkel verkrochen, aber Sie haben … Es gibt immer einen Ausweg, nicht wahr?»
    Wolfram nickte fast unmerklich. Freiligrath konnte es nicht sehen, doch er sprach weiter.
    «Sie müssen es sich beweisen … Beweisen, dass Sie nicht gefangen sind. Dass Sie fortkönnen, jederzeit. Und doch ist es …» Er öffnete die Augen. «Wie fühlt es sich an, Herr Wolfram, wenn Sie hinausgehen? Die Knie werden Ihnen weich, der Kopf wie ein Heliumluftballon? Ja, Sie kämpfen dagegen an, doch Ihr Herz zuckt und stolpert. Bleibt stehen. Ruckt wieder an. – Die Welt selbst!» Der Psychologe rührte sich nicht von der Stelle, doch sein Ton veränderte sich. Albrecht hatte das absurde Gefühl, als wäre er plötzlich näher an seine Besucher herangerückt. «Die Welt selbst ist ein gefährlicher Strudel! Sie hat Augen, ja, und Stimmen! Auf Entfernungen ist kein Verlass, und jeder Schatten ist eine Gefahr!»
    «Wovon …», setzte der Hauptkommissar an.
    «Wenn es dunkel ist, ist es besser», flüsterte Freiligrath. «Nicht wahr, Herr Wolfram?»
    Albrecht drehte den Kopf, beobachtete, wie die Lider des ehemaligen Ermittlers flatterten und sein Blick sich auf den Psychologen richtete.
    Was sieht er?
    Er sieht nicht Freiligrath. Er sieht … Es war, als würde der Traumfänger die Bilder direkt aus Wolframs Kopf ziehen. Amputierte Träume. Albträume, ohne Betäubung aus dem Innern der menschlichen Seele gerissen.
    «Nicht wahr?», wiederholte der Traumfänger. «Wenn es dunkel ist, müssen Sie nicht befürchten, jemandem zu begegnen, der sich plötzlich in etwas … etwas anderes verwandeln könnte. Jemandem, vor dem Sie sich nicht verstecken können. Wenn die Sonne sinkt, ist niemand mehr unterwegs. Keine Schatten mehr, die
etwas anderes
sein könnten.»
    Horst Wolfram saß jetzt kerzengerade, den Mund leicht geöffnet, die Augen weit aufgerissen. Er bewegte sich keinen Zoll, doch Albrecht hatte das Gefühl, als wollte er bei jedem Wort weiter zurückweichen, sich in seinem Sessel vergraben. Grauen. Das reine Grauen, und es wuchs mit jedem Wort.
    «Die Bilder sind trotzdem da, natürlich», murmelte Freiligrath. «Sie sind erträglicher in der Dunkelheit, aber Sie wissen, dass

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