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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Anfang stellen können.
    Aber hätte das nicht eine Zwangsläufigkeit ergeben, eine innere Logik, dass die Geschehnisse so und genau so auf diesen Punkt hätten zulaufen müssen?
    Das war aber nicht der Fall. Die Traumfänger-Ermittlung war die Traumfänger-Ermittlung, und für die Arbeit auf dem Revier spielte sie vor allem deswegen eine Rolle, weil nach Abschluss dieser Ermittlung Jörg Albrecht von seinem Provinzposten zur Hamburger Polizei gewechselt war und die Leitung des Kommissariats übernommen hatte.
    Das war der Beginn unserer Gemeinschaft gewesen, der Mannschaft vom PK Königstraße, wie sie, natürlich in wechselnder Besetzung, bis heute bestand.
    Der Fall selbst …
    Jeder Mensch erinnert sich an die großen Kriminalfälle, die für eine gewisse Zeit wieder und wieder in zentimeterhohen Lettern in der Presse auftauchen: der Kannibale von Rotenburg oder der Doppelmörder von Bodenfelde. Oder eben der Traumfänger, wie die Medien ihn getauft hatten, der Ende der Achtziger Hamburg und halb Norddeutschland in Atem gehalten hatte.
    Ich war damals in der siebten Klasse gewesen, das erste Jahr auf dem Gymnasium. Meinen Freundinnen und mir war es vor allem peinlich gewesen, dass unsere Eltern uns nicht mehr mit dem Schulbus fahren ließen, sondern Fahrgemeinschaften gebildet hatten, von der Haustür zur Schule und zurück. Die Menschen waren einfach in Panik – ganz ähnlich wie sich das auch jetzt abzeichnete, während der Ermittlungen nach dem Tod von Ole Hartung und Kerstin, Professor Möllhaus und der Zecke.
    Hätten wir deswegen sofort an den Traumfänger denken müssen? Rückblickend eindeutig ja. Aber genauso an die Täter von Rotenburg und Bodenfelde und Dutzende andere. Besonders aber an diejenigen, die sich in den Akten versteckten, die Faber, Matthiesen und Seydlbacher stundenlang durcharbeiten mussten. Sämtliche Taten, die uns während Jörg Albrechts Amtszeit beschäftigt hatten.
    Der Traumfänger war logischerweise nicht dabei.
    Der Traumfänger.
    Es hatte mit einem Klassiker begonnen, damals im Sommer 1988.
    Eine Frau Mitte fünfzig, die eines Morgens von den ersten Besuchern in Hagenbecks Tierpark tot aufgefunden wurde – im Spinnenhaus. Unheimlich genug, doch das vielleicht Sonderbarste an der ganzen Angelegenheit war die Frage nach der Todesursache: Ja, die Frau war von den Tieren gebissen worden, aber die Gerichtsmedizin hatte eindeutig festgestellt, dass diese Bisse erst nach ihrem Tod erfolgt sein konnten. Herzversagen – das war am Ende die Erklärung.
    Natürlich gab es Untersuchungen, schon dieser gruselige Fall war der Presse jede Menge Berichte wert. Doch es blieb ungeklärt, was die Frau überhaupt dort zu suchen gehabt hatte. Am Vorabend war sie nicht nach Hause gekommen, und der Ehemann hatte sie gerade als vermisst melden wollen, da erhielt er auch schon die Todesnachricht.
    Der zweite Fall – ich glaube, dass es der zweite war – war der Tote im Elbtunnel. Allerdings war er nicht im Tunnel selbst gefunden worden, sondern in einem der Notausgänge, angekettet an ein Schutzgeländer. Keine offensichtlichen Verletzungen. War es überhaupt Mord gewesen? Auf jeden Fall stand diesmal fest, dass eine weitere Person beteiligt gewesen sein musste.
    Identisch war lediglich die Todesursache: Herzversagen. Hier jedoch brachte die Befragung des familiären Umfelds wichtige Hinweise: Der Mann hatte unter schwerer Klaustrophobie gelitten, sich geweigert, Fahrstühle zu benutzen. Der dunkle, enge Fluchttunnel musste die Hölle für ihn gewesen sein.
    Er war schlicht aus Angst gestorben. An seinem eigenen persönlichen Albtraum.
    Von nun an begann die Presse zu lauern.
    Sie musste nicht lange warten.
    Die Frau, die einige Tage später auf der Aussichtsplattform des Michel gefunden wurde, hatte unter extremer Höhenangst gelitten. Angst vor dem Sturz in die Tiefe hat wohl jeder Mensch, doch in diesem Fall war es gar nicht erst so weit gekommen. Todesursache?
The same procedure.
    Wieder ein paar Tage später: ein Toter auf der Intensivstation des Eppendorfer Klinikums. Kommt jeden Tag vor, natürlich – mit dem Unterschied, dass dieser Tote überhaupt kein Patient gewesen, sondern dort, wo andere Menschen geheilt wurden, seiner panischen Angst vor Krankenhäusern zum Opfer gefallen war.
    Die unglaublichsten, persönlichsten Ängste, die ein gesunder Mensch sich nicht mal vorstellen kann: ein Rentner, der auf einem öffentlichen WC unter schrecklichen Schmerzen gestorben sein musste:

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