Ich bin der Herr deiner Angst
haben, wie Albrecht und die Teilnehmer des Kolloquiums das Gebäude verließen. Danach hatte er vermutlich umgehend zugeschlagen – und anschließend Zeit gehabt, nach Hamburg zurückzukehren.
Und an genau dieser Stelle kam ein neues Problem ins Spiel: Stahmke war gegen zweiundzwanzig Uhr zur Alsterquelle bestellt worden. Um zweiundzwanzig Uhr sieben jedenfalls hatte sich Friedrichs auf dem Revier gemeldet – Matthiesen hatte einen Protokollausdruck dabei. Zu diesem Zeitpunkt aber war der Täter eindeutig noch in Braunschweig gewesen.
Was hatte die Zecke getrieben, bis sie ihrem Mörder begegnete? Wo hatte sie sich aufgehalten? Hinzu kam, dass Paul Schubert, ihr Kameramann, offenbar wie vom Erdboden verschwunden war. Mitsamt dem Fahrzeug, in dem die beiden unterwegs gewesen waren.
Ein weiterer Toter? Das mussten sie befürchten.
Als Täter schied Paul Schubert jedenfalls aus. An dem Nachmittag, an dem Kerstin Ebert starb, war er permanent mit der Journalistin unterwegs gewesen.
Und dann war da natürlich noch der Umstand, dass der Täter zumindest bei Möllhaus nicht allein gehandelt haben konnte. Binnen einer einzigen Nacht ein Grab auszuheben, einen frischen Sarg dort zu deponieren, das Ganze wieder zuzuschaufeln – physisch unmöglich für eine einzelne Person. Der Täter hatte Helfer.
Warf das möglicherweise auch ein anderes Licht auf die Abfolge der Taten? Konnte eine noch unbekannte Figur im Hintergrund in bester Charles-Manson-Tradition einen oder mehrere der Morde delegiert haben, während sie selbst nur ausnahmsweise anwesend war?
Hier befanden sie sich wieder an einem Punkt, an dem Jörg Albrechts Ermittlerverstand die Wahrheit schlicht und einfach spürte: Nein, dieser Täter würde es sich nicht nehmen lassen, seine Taten persönlich auszuführen. Die Tat selbst war wichtig für ihn, nicht allein ihr Ergebnis.
Schließlich nickte Albrecht und verteilte die Aufgaben neu, indem er faktisch alles beim Alten beließ. Faber und Seydlbacher blieben auf die Altfälle angesetzt, besonderes Augenmerk sollten sie jetzt auf einen medizinischen Hintergrund legen. Lediglich Matthiesen wurde abgezogen und würde den Rest des Tages Telefonate mit dem Sarggroßhandel im Raum Braunschweig führen und zusätzlich den Kontakt zu Rabeck und Cornelius halten. Winterfeldt und Lehmann wurde zu Ole Hartungs Rechner noch Kerstin Eberts Computer aufgedrückt.
Albrecht wusste von vornherein, dass sie nichts Brauchbares finden würden.
Mit einem Nicken entließ er die Runde und winkte Hannah Friedrichs, ihn in sein Büro zu begleiten.
Müde ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und wies mit einer einladenden Geste auf einen der Besucherstühle.
«Was ich jetzt wissen möchte …»
Ein entschlossenes Klopfen. Albrecht konnte es eine Sekunde lang nicht einordnen, dann öffnete sich die Tür ohne Aufforderung.
«So», sagte Irmtraud Wegner. «Und jetzt hören Sie mir zu!»
***
Ein rettender Engel in Größe achtundvierzig Damenkonfektion? Das Muster sollte möglicherweise Gänseblümchen darstellen, die einzelnen Exemplare waren allerdings handtellergroß und türkis auf knallgelbem Grund.
Ich wollte gerade aufstehen und mich diskret verdrücken, doch der Blick der Sekretärin bannte mich an Ort und Stelle.
Ein Blick, wie ihn, da war ich mir sicher, noch niemand auf dem Revier von Irmtraud Wegner zu sehen bekommen hatte.
Das wäre deine Chance gewesen.
Ich war nicht in der Verfassung für was auch immer die Frau unserem Herrn und Meister erzählen wollte. Ich war nicht in der Verfassung für
irgendwas
.
Albrechts Psychologieexperte war tot.
Natürlich hatte ich gemerkt, dass der Chef mich bei dieser Eröffnung ganz genau im Blick gehabt hatte. Wie er wieder einmal versucht hatte, jede noch so kleine Regung von der Innenseite meiner Großhirnrinde zu schälen.
Es war ihm nicht gelungen.
Ich hatte nicht mal Triumph gespürt. Zu viele Dinge waren mir durch den Kopf geschossen. Nein, Jörg Albrecht wusste nicht, was heute Nacht zwischen Joachim und mir gelaufen war – und so lange er das nicht wusste, konnte er sich keinen Reim auf meine Reaktion machen. Und wenn ich bei seiner Eröffnung Polka getanzt hätte.
Doch zu viele Dinge waren in der Schwebe. Jedes Detail konnte entscheidende Bedeutung haben. Professor Möllhaus sei auf dem Friedhof gestorben, hatte Albrecht gesagt, genau wie Kerstin. Eine Sekunde lang war die Welt unter mir weggekippt. Auf einem
Braunschweiger
Friedhof. Knirschend kam die
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