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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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zerkratzt. Du zitterst.
    »Pass auf, sonst sehen sie dich. Das Fenster.«
    Mir ist klar, dass du erfrieren wirst. Als ich dich berühre zuckst du zusammen, weil es so weh tut.
    »Sie werden dich entdecken!« Ich verstecke mich wieder hinter dem Baum und versuche, die Knoten zu lösen.
    »Haben sie dich geschlagen?«
    »Ich wollte mich nicht gefangen nehmen lassen, aber Horace Bron war anderer Meinung«, sagst du beinahe lachend.
    Horace Bron ist ein Berg von einem Mann. »Du hast Glück, dass du noch am Leben bist.«
    »Judith, ich hätte das ahnen müssen. Sie sind mir hierher gefolgt. Als ich in die Hütte ging, fielen sie über mich her.«
    Ich kann es mir nur allzu gut vorstellen. »Ich weiß.«
    »Du wusstest davon?« Dir versagt beinahe die Stimme.
    Wie kannst du so an mir zweifeln? »Gillis war heute Abend bei uns und hat damit geprahlth.«
    »Gillis!«, sagst du etwas zu laut. »Er war es, der mir das ›Geheimnis‹ verraten hat!«
    »Psst!«, warne ich. Die Knoten sind störrisch und die Dunkelheit erschwert es zusätzlich. Da hilft es auch nicht, dass du wie wild an den Fesseln reißt, als würden sie plötzlich nachgeben, nur weil ich hier bin.
    Das hätte nie geschehen dürfen! »Ich habe doch gesagth, hier ist nichts, was dich belasten könnte.«
    Im Mondlicht sehe ich dieselben Bäume, die ich zwei Jahre lang angestarrt habe.
    Doch Schluss damit. Du leidest schon genug und musst nicht noch hören, dass ich recht hatte.
    »Wo isth Fee?«
    »Frei. Sie ist weggelaufen und sie haben sie noch nicht gefunden.« Immerhin das ist eine gute Nachricht.
    »Judith, binde mich nicht los. Nimm Fee und geh nach Hause.«
    Diesen weiten Weg habe ich nicht wegen Fee zurückgelegt.
    »Sie werden dich töthen. Ich gehe auf keinen Fall.«
    »Sie töten mich nicht. Sie wollen mich zu einer öffentlichen Anhörung ins Dorf bringen.«
    »Warum bist du da so sicher?«
    »Ich habe sie gehört. William Salt sagt, er habe etwas gefunden, das beweist, dass mein Vater Lottie getötet hat.«
    Was?
    Was hat er gefunden?
    Ich denke daran, wie Lottie starb. Ich sehe es genau vor mir. Es fühlt sich an, als sei ich noch einmal in den Fluss gesprungen.
    Vorsichtig wähle ich meine Worte. »Er hat Lottie nicht getötet, Lucass.«
    Glaubst du mir? Ich versuche, einen Blick in dein Gesicht zu erhaschen. Du hältst die Augen geschlossen und siehst aus, als ob du betest. An den Baum gefesselt erinnerst du an Jesus am Kreuz.
    »Wer hat sie dann getötet?«, flüsterst du kaum hörbar.
    Ich weiß, dass du mir das Folgende nicht glauben wirst. »Ich weiß nichth.«
    Stille.
    Ich sehe keine Schatten mehr am Fenster hin- und hergehen. Die Kerze wird gelöscht. Schlafen sie jetzt und lassen dich hier draußen? Ich wundere mich, dass dich niem and bewacht, aber diese verdammten Knoten sind Grund genug.
    »Judith«, sagst du leise. »Wenn ich mich befreien könnte und dich bitten würde, mit mir fortzugehen, mit mir auf Fee nach Westen zu reiten, noch heute Nacht, würdest du mitkommen?«
    In der Dunkelheit bin ich wagemutig. Ich baue mich vor dir auf.
    »Und wenn wir nicht wegliefen? Würdest du mich in Roswell Station zur Frau nehmen?«
    Dein kaltes Gesicht berührt meines.
    »Das würde ich, aber lass uns das lieber nicht tun.«
    Ich schmiege mich an dich und hoffe, dass meine Wärme dich durchdringt.
    LIII
    Wir stehen Wange an Wange. »Werde meine Frau, Judith. Bitte sag ja.«
    Hier. Dieses Wort.
    Ich löse mich von ihm. »Komm, wir binden dich los. So nützt du mir jedenfalls nichths.«
    Ich bin kurz davor, in die Knoten zu beißen.
    Deine Frau.
    »Pssst!«, zischst du. Von der Tür kommt ein Geräusch.
    »Geh!« Du flüsterst.
    Ich kann dich nicht allein lassen.
    Doch ich kann dir auch nicht helfen, wenn sie mich fangen.
    Die Tür wird geöffnet, schwere Schritte nähern sich. Ich schleiche zurück in den Schutz der Dunkelheit. Die Schritte verstummen.
    »He da!« Es ist William Salt, der Müller. Ich renne los.
    William Salt rennt hinterher. Zweige schlagen mir ins Gesicht. In der Ferne höre ich Schreie. Bestimmt die anderen Männer. Ich kann nicht mehr. Bei jedem Schritt schmerzt mein Knöchel.
    Ich bleibe stehen.
    Und mein Verfolger auch.
    Ohne Geräusche, an denen er sich orientieren kann, findet er mich nicht.
    Mein Atem geht immer noch hektisch.
    In der Ferne kracht und rumpelt es. Durch die Bäume sehe ich orangefarbenes Flackern. Können sie so schnell ein Lagerfeuer entzündet haben?
    Die Flammen schlagen höher.
    William Salt stapft

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