Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Schwangere, Tagebuch schreibende Redakteurinnen werden von ihrem boxenden Untermieter und der alles neu machenden Frühlingssonne zu ganz unglaublichen
Vorsätzen verleitet, von denen ich hier drei besonders kühne für Sie ausgewählt habe:
ERSTER VORSATZ VOM 5. MAI 2000:
»Ich will einen schicken Kinderwagen. Aber ich will nie, nie eine passende Wickeltasche !«
Kinderwagen kaufen gehört zu den großen Herausforderungen werdender Eltern: Man braucht ein Vehikel, das leicht fährt, ins Auto passt, kein orthopädisches Risiko fürs Baby bedeutet und was hermacht. Schließlich will man auch als junge Mutter schick sein. Ich wusste im Mai 2000 vor allem dies: Ich will was Sportliches, ohne Bärchen. Und: bitte keine Wickeltasche, die das gleiche Karo hat wie der Fußsack. »Ist doch superspie-ßig«, erklärte ich dem werdenden Kindsvater. Am Ende unserer Kinderwagensuche entschieden wir uns für ein blaues Joggermodell: dreirädrig, schweineteuer, sehr trendy, ohne Wickeltasche, dafür mit Lieferschwierigkeiten. »Wenn Sie Glück haben, kommt der Wagen in der 29. Kalenderwoche«, sagte der Verkäufer. Das war dumm, denn der Geburtstermin lag in der 27. Kalenderwoche. Zum Glück wurde unser Kind später geliefert als geplant. Und so passte es dann doch ganz gut.
In der 50. Kalenderwoche des Jahres 2000 lief mir zum ersten Mal eine Teeflasche in meiner großen Ledertasche aus. Es folgten geriebener Apfel, Karottenmus, Bananenjoghurt. Schließlich roch meine Tasche
so undefinierbar, dass Jochen behauptete, sie wäre ein Fall für die Drogenfahndung.
Im Mai 2003 – ich war wieder im achten Monat, und zwar mit Jette – stellten wir fest, dass unser avantgardistischer Joggerkinderwagen kurz vor dem Zusammenbruch war. Außerdem hatte er hinten keine Achse, an der sich ein Kiddy-Board für Clara befestigen ließ. Weil wir aber nicht noch mal 500 Euro für eine hippe Karre ausgeben wollten, guckten wir in der Stadtteilzeitung nach gebrauchten Modellen. Wir fanden auch eins, das gut in Schuss war. Es kostete 50 Euro. Und hatte viel zu bieten: vier statt drei Räder, kiddyboardtaugliche Achse, Sommerfußsack, Winterfußsack, Sonnenschirm, Regenhaut. Und: eine schlammfarbene Wickeltasche mit beigem Streifendekor. Unnötig zu erwähnen, dass auch der Kinderwagen schlammfarben war, mit beigem Dekor. »Den nehmen wir«, sagte ich entschlossen zu Jochen und zückte umgehend den Fünfziger, noch bevor mein Mann »Ja, aber, du wolltest doch nie, nie …« sagen konnte.
Nachsatz zum Vorsatz vom Mai 2000: Inzwischen ist unser Haushalt schon länger kinderwagenfreie Zone: Der blaue Jogger hatte einen Achsenbruch, den schlammfarbenen habe ich samt Kiddyboard weiterverkauft, unser Buggy wurde im Hausflur geklaut, und der Sonnenschirm fiel beim Aussteigen in den U-Bahn-Schacht. Nur die beige Wickeltasche ist noch da: Die Mädels spielen damit Arzt. Oder feine Dame: »Wissen Sie«, hörte ich die Trendberaterin (Clara) neulich sagen, »bääsch« ist diesen
Sommer sehr modern.« »Das ist kein Bääsch«, sagte die feine Dame (Jette), »das ist Kacki. Aber ich nehm die Tasche trotzdem.«
ZWEITER VORSATZ VOM 18. MAI 2000:
»Ich bin ja bald wieder da!«
Am 18. Mai 2000 war mein letzter Arbeitstag. Ich hatte mein Büro tiptop aufgeräumt und die Kollegen zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die Kollegen überreichten mir zum Abschied einen Tummy Tub – einen überdimensionalen Plastikeimer, in dem moderne junge Mütter um die Jahrtausendwende ihre Babys badeten – und es schien mir, als guckten sie so, als wäre ich für immer verloren. »Ach«, sagte ich daraufhin heiter in die Runde, »ich bin ja bald wieder da.« Und das glaubte ich auch selber.
Was ich bei meinem Vorsatz nicht berücksichtigte: Kinder kriegt man nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch. Und Kinder haben fühlt sich hinterher immer ganz anders an, als man vorher denkt. So schrieb ich schon am 9. Juli in mein Tagebuch: »Dieses kleine Wunderwesen gebe ich niemals wieder her!« Damals war Clara drei Tage alt, und ich beobachtete mit großer Verzückung, wie sie in ihrem Klinik-Wägelchen Grimassen schnitt und mit den Armen ruderte. »Das sind die Hormone«, sagte Jochen damals über meine Allesmeins-Attitüde.
Ein Jahr später – mein Hormonpegel war längst wieder auf normalem Niveau – hatte sich an meinen Gefühlen allerdings nicht viel verändert: Ich brachte es einfach nicht übers Herz, Clara in eine Krippe zu tun außerdem hatte ich gar keinen Krippenplatz.
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