Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Besichtigungstermine auf dem Land wahrzunehmen. Man braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie viel Sonne nachmittags um drei in das Kinderzimmer des Reihenmittelhauses
fällt, das noch gar nicht gebaut ist. Man braucht viel Mut und viele schlaflose Nächte, um zu einer Entscheidung zu kommen. Und ist die Entscheidung gefallen, braucht man viele Baumärkte, um die Badezimmerkacheln zu finden, die man sich vorgestellt hat.
Doch der Nestbau-Trieb ist stark. Und er macht, dass sehr viele Menschen diese Mühen auf sich nehmen: Die Statistik sagt, zwei Drittel aller Familien mit zwei Kindern wohnen im eigenen Heim. Viele von ihnen kaufen Reihenhäuser oder bauen Doppelhaushälften. Und ich bin sicher, das ist eine große Kunst.
Jochen und ich beherrschen diese Kunst nicht. Dafür gibt es Gründe. Einer ist der Kindsvater selbst: Er will nicht aufs Land! Ein anderer ist die Region München und die Tatsache, dass selbst klitzekleine Reihenmittelhäuser hier so teuer sind, dass auch die großzügigste Erbtante erblassen würde – wenn wir eine hätten.
Deshalb beherrschen wir inzwischen eine andere Kunst: Wir schaffen es, ganz lässig zu behaupten, dass es auch mit Kindern durchaus Vorteile hat, zur Miete und in der Stadt zu wohnen. Und wenn nötig, können wir das weiter erläutern. Wir bringen es fertig, Kindergeburtstage unter Kastanien zu feiern, die nicht in unserem Garten stehen. Wir können in Baumärkte gehen und völlig teilnahmslos an den Badezimmerkacheln vorbeischlendern. Und wenn, wie dieser Tage geschehen, ein windiges Gewitter die Pfannen vom Dach schubst, können wir ganz entspannt auf den Dachdecker warten.
Sie müssen zugeben: So viel Ignoranz ist eine reife Leistung! Und ich muss zugeben: Es war nicht einfach! Mein Nestbau-Trieb hat sich immer wieder heftig gewehrt. Inzwischen gibt er Ruhe. Dafür belohne ich ihn ab und zu. Neulich habe ich ihm von einem Landausflug einen wunderschönen Sommerblumenstrauß mitgebracht. Er hat nur beiläufig gefragt: Und, wie war’s?
Die Kunst, einen netten Nachbarn zu finden
Will man in der Stadt wohnen, hat man Nachbarn. Wohnt man wie wir sogar in einer Großstadt, hat man viele Nachbarn. Das Problem dabei: Menschen mit Kindern sind meistens laut. Und Menschen, die wie wir mit Kindern in einer Etagenwohnung wohnen und einen alten, geölten, nicht trittschallgedämpften Holzfußboden haben, sind meistens sehr laut. Haben diese Menschen dann auch noch zwei Mädchen, die in bestimmten Entwicklungsphasen nichts Schöneres kennen, als mit Mamas Klackerschuhen über den Holzfußboden zu stolzieren, sind diese Menschen vermutlich die Hölle. Jedenfalls für die, die unter der Etagenwohnung wohnen.
In unserem Fall ist das ein pensionierter Lehrer. »Das könnte ein Problem werden«, sagte ich zu Jochen, als wir einzogen. »Ja«, sagte Jochen, kaufte eine gute Flasche Rotwein und lud den pensionierten Lehrer in unsere Küche ein. Er kam tatsächlich, und es war sehr
nett! Nach dem Wein gab es noch weitere prophylaktische Bestechungsversuche mit selbst gebackenem Butterkuchen und gelegentlichen Pläuschen im Hof. Und, was soll ich sagen: Unser pensionierter Lehrer ist die Wucht. Er hat sich in dreieinhalb Jahren noch nicht ein einziges Mal beschwert. Nur einmal machte er mich nachdenklich. Das war an einem Tag, an dem ich morgens heftig mit meinen Töchtern gestritten hatte, weil sie mal wieder den Kühlschrank nicht zugemacht hatten. Ich lief nachmittags die Treppe hinunter, als unser Nachbar gerade seine Tür zuschloss und ganz unvermittelt sagte: »So, so, Sie pflegen also einen demokratischen Erziehungsstil.« Als ich ihn stirnrunzelnd ansah, sagte er: »Na ja, Ihre Kinder schreien zurück!«
Die Kunst, keine Angst vor Verona zu haben
Eine Begleiterscheinung von Mietwohnungen in der Stadt ist auch: Egal, wie groß sie sind – sie sind immer zu klein. Und es fehlt immer ein Zimmer. Irgendwo habe ich gelesen, dass der bundesdeutsche Durchschnittsbürger 40,7 Quadratmeter zur Verfügung hat. Im Saarland sollen es sogar 46 sein. Wie viele es in München sind, stand nicht dabei. Fakt ist, wir haben pro Nase 24,9 Quadratmeter. Und Jette hat bloß sieben. Ich finde, es sind sieben sehr charmante Quadratmeter mit einem hübschen weißen Sprossenfenster und einem zitronengelben Bett, über dem ein Bild hängt mit der
B-Mannschaft der Bremer Stadtmusikanten: Schwein, Huhn, Fisch, Schmetterling. Und unter dem jede Menge Platz für Spielzeug ist. Auch sonst haben wir
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