Ich bin ein Mörder
Jetzt waren die Nachbarn plötzlich da. Jetzt! Zu spät. Alles zu spät. Denn sie waren nicht mehr da. Sie, die er zum Tanzen gezwungen hatte. Auch der zweite Rettungswagen war verschwunden.
Die Taubheit im Arm breitete sich aus, schluckte gnädig den Schmerz. Vor ihr die Männer der Spurensicherung. Absperrbänder, Markierungen, zwei Blutlachen, die im Sand versickerten. Neben der rostigen Schaukel. Jemand nahm ihr die Pistole aus der Hand. Ein weiterer Wagen fuhr auf den Hof. Kurz darauf hörte sie, wie die Heckklappe geöffnet wurde. Dann ein schleifendes Geräusch. Sie kannte es. Zu früh, dachte sie nur. Sie sind noch nicht fertig mit ihm. Unbeteiligt beobachtete sie, wie sie ihn fotografierten. Tobias sah eigentlich aus wie immer. Nur sein Körper hing seltsam verbogen über dem Eisenzaun, mit dem Kopf auf dem Blumenkübel. Die blauen Augen schauten in den Himmel. Auf seinem Gesicht glaubte sie ein erstauntes, fast amüsiertes Lächeln zu sehen. Eingefangen für die Ewigkeit. Die Haarsträhne war ihm ins Gesicht gerutscht. Automatisch streckte sie die Hand aus, um sie beiseite zu streichen. Dann verlor sie das Bewusstsein.
* * *
»Ich habe Ihnen den Beweis geliefert, dass das perfekte Verbrechen möglich ist. Sie wollten es so haben. Und Sie selbst werden ein weiterer Beweis dafür sein. Sie wollen wissen, wie Ihr Kapitel aussehen wird, Herr Kommissar? Nun, wie wäre es mit Folgendem: Sie sind ein einsamer Mann. Von der Familie verlassen. Vor Ihnen liegen drei Wochen Urlaub. Drei Wochen und einen Tag wird es dauern, bis der Erste Sie vermisst. Rechnen Sie getrost noch ein paar Tage drauf, bis man die Wohnung öffnet. Viel Zeit zum Sterben. Mehr als Sie brauchen. Sie wissen, welche Schuld auf Ihnen lastet, und Sie wissen auch, dass mein Urteil ein gerechtes ist. Sie sind ebenso schuldig, wie ich es bin. Aber im Gegensatz zu Ihnen habe ich gebeichtet. Wieder und wieder. Und Ihnen erteile ich heute die Absolution, denn ich bin mir sicher, dass Sie bereuen. Jetzt. Hier und heute, in diesem Augenblick. Und von diesem Augenblick an, bis es zu Ende ist, werden Sie nicht aufhören zu bereuen. Ja, ich bin Ihr Richter und Ihr Henker. Ich gönne mir die Rollen beide, denn sie sind mir auf den Leib geschrieben und niemand könnte ein besserer Vollstrecker sein, als ich es bin. Sie sind bereits geschwächt. Es ist Ihnen nicht klar, weshalb? Sie haben Ihre Medikamente vorschriftsmäßig eingenommen, nie vergessen oder falsch dosiert. Ganz recht. Nur waren es die falschen Medikamente. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir ungefragt Zutritt zu Ihrer Wohnung verschafft habe. Es geht schon einige Wochen so. Ich habe es genau berechnet. Was Sie schwächt, hat seine Wirkung getan, Sie sind nicht mehr fähig, das Bett zu verlassen. Ohne fremde Hilfe und aufbauende Präparate wird das auch so bleiben. Bis man Sie findet, hat Ihr Körper die verhängnisvollen Substanzen restlos abgebaut. Kein Nachweis mehr möglich. Ihr Herz ist schwach. Der Weg zur Wohnungstür zu weit in Ihrem Zustand. Der Durst wird unerträglich werden, aber ach, selbst wenn Sie es schaffen sollten bis zum nächsten Wasserhahn, ich habe den Haupthahn zugedreht. Und der befindet sich, so ein Pech, im Keller. Keine Getränkeflaschen im Haus. Trinken Sie Putzmittel, das habe ich Ihnen gelassen. Noch etwas habe ich Ihnen gelassen. Ein Messer. Es ist sehr scharf. Selbst Ihre schwache Hand vermag es, damit einen Schnitt zu führen. Längs der Ader, Kommissar, nicht quer, wenn Sie es schnell hinter sich bringen wollen. Ich lege es hier auf Ihre Decke. Nein, besser noch, direkt in Ihre Hand. Ein Ausweg. Sie müssen nur den Willen aufbringen, solange die Kraft noch reicht. Entscheiden Sie sich, lassen Sie alle Hoffnung fahren. Aber das werden Sie nicht. Ich kenne Sie. Vielleicht werden Sie auch einfach einschlafen und nicht mehr erwachen? Ein sanfter Tod. Schöner, als jämmerlich zu verdursten. Aber Mitleid war noch nie meine liebste Tugend. Ihr Wecker hat eine wunderbare Funktion. Er wird stündlich ein Signal abgeben und Sie nicht schlafen lassen. Sie werden darauf warten. Sie werden es hassen. Sie werden den Tod herbeisehnen. Vielleicht sogar mich herbeisehnen, dass ich es beende. Aber ich werde nicht wiederkommen. Sterben Sie wohl, Herr Kommissar. Der Todesengel hat sein Werk vollbracht …
So könnte es aussehen, Ihr Kapitel. Aber er weiß, vielleicht ist mein Plan ein noch besserer? Noch böser.
Ich verlasse Sie jetzt. Draußen dämmert es. Sehen Sie
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