Ich bin ein Mörder
einer Weile regte sich ein erster Widerstand. Es gehörten schließlich zwei dazu. Die Bürde seiner Schussverletzung war schwer genug zu tragen. Der Ehebruch ging nicht allein auf ihr Konto.
»Wie lange wird es dauern, bis er wieder in Ordnung kommt?«, fragte sie unvermittelt in Karins Empörung hinein. »Bitte Karin, vergiss das andere jetzt mal. Es gibt doch im Moment wirklich Wichtigeres. Jörg ist dein Mann. Das war er immer. Ich hatte nie vor, ihn dir wegzunehmen. Ich weiß, dass du mich jetzt hasst, und du hast völlig recht damit. Aber ihn darfst du nicht hassen, Karin. Bitte! Er braucht dich und er liebt dich und eure Kinder. Du kennst ihn besser, als jeder andere. Du weißt, er kann nicht anders, wenn sich die Gelegenheit für einen Flirt bietet. Ich hätte nie gedacht, dass ich so was mal sagen würde, aber das mit Jörg und mir, das hatte nichts mit dir zu tun. Für Jörg ist Sex wie Atmen. Er kann das absolut von Liebe trennen. Und dich liebt er. Dich und keine andere.«
Karin blinzelte. Ihre Mundwinkel zucken und Alexandra sah die Tränen aufsteigen, als sie langsam zu sprechen begann.
»Die Hauptschlagader wurde nicht getroffen. Gerade so. Die Lunge nur geschrammt. Es fehlten nur Millimeter. Nur Millimeter und nur Sekunden bis zum Tod. Der Blutverlust war an der Grenze. Er wird eine ganze Weile im Krankenhaus bleiben müssen. Aber er wird überleben.«
Endlich überwog die Erleichterung. Alexandra hob vorsichtig die Hand und streichelte ihr über die Wange. Dann ging sie leise nach draußen in die Dunkelheit.
Sonntag, 11. November
Alle Fäden liefen bei Robert Wagner zusammen. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass er das Team leiten durfte. Obwohl die Umstände alles andere als angenehm waren. Aber gerade darum war er fest entschlossen, die Angelegenheit restlos und zweifelsfrei aufzuklären.
Die Durchsuchung von Tobias Stockmanns Wohnung im Westhafen hatte auf Anhieb wenig Neues gebracht. Angeblich war er seit mehreren Tagen nicht mehr da gewesen. Dazu passte die Buchungsbestätigung für ein Flugticket nach München. Sie fanden keine weiteren Hinweise auf eine aktuelle Verbindung Stockmanns zum mutmaßlichen Mörder von Martin Hirschberger und Entführer Markus Neumaiers. Ob das ein Vor- oder Nachteil war, blieb abzuwarten. Im Augenblick musste Robert sich darauf beschränken, Fakten zu sammeln. Die in der Wohnung sichergestellten DNA-Spuren belegten nur Alexandra Müllers sehr intime Rolle in der Geschichte. Aber die war auch vorher kein Geheimnis gewesen. Er hoffte, dass ihre Aussage etwas Licht in die Angelegenheit brachte. Dass obendrein ausgerechnet Conrad Neumaier die tödlichen Schüsse auf Stockmann abgegeben hatte, war besonders heikel. Die Staatsanwaltschaft schaute extrem genau hin, wenn der Verdacht bestand, dass private Konflikte mit der Dienstwaffe gelöst wurden. Zu recht. Conrad, Alexandra und Mischa waren gleich auf mehreren Ebenen in die Sache verstrickt. Robert brauchte die volle Kooperation aller Kollegen. Sowohl die absolute Offenheit der persönlich Involvierten als auch die uneingeschränkte Objektivität auf Seiten der Ermittler. Befangenheit war das Ende. Dann würden bald andere den Fall übernehmen. Prüfend wanderte sein Blick über die Gesichter des Teams. Neutralität. Daran mussten sie zuerst arbeiten.
Montag, 12. November
Ricky Kramer traute sich nicht, das Haus zu verlassen, obwohl er dringend etwas zu trinken brauchte. Der Sonntag war verstrichen, ohne dass der Mann aufgetaucht war, um ihn zu bezahlen. Seine Gedanken rotierten. Trinken. Jetzt. Aber da war nichts mehr. Wenn er ginge, um etwas zu kaufen? Ganz schnell. Nur, wohin? Er kannte sich nicht aus in München. Und wenn der Mann genau dann käme und er wäre nicht da, würde er wütend werden. Ihn nicht bezahlen. Oder Schlimmeres. Er erinnerte sich an die sanfte Stimme und die Schärfe der Worte, die der Mann mit einem Lächeln sprach. Nein, er konnte nicht gehen. Zu großes Risiko. Hier drin war es warm. Draußen nicht. Zu viele kalte Nächte in seinem Leben. Trotzdem musste er etwas trinken. Er durchsuchte jeden Winkel. Nichts, was seine Qual noch lindern konnte. Weder Rasierwasser, noch Medikamente, nicht mal Hustensaft. Die Totenfratzen starrten ihn weiter an. Er spürte ihre Blicke durch die Tücher. Er fürchtete sich. Auf den Durst folgte der Entzug. Vielleicht beobachtete der Mann ihn durch die Augen der Totenfratzen. Kalter Schweiß, Zittern, nackte Angst. Er verschanzte sich im Bad. Sie
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