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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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trifft man hier überall nur auf Verbots- und Mahnschilder. Auf die Idee, den Bürger auf etwas hinzuweisen, was erlaubt ist, muss man erst einmal kommen. Auf unserem Platz stehen »Grillen erlaubt«-Schilder.
    An manchen Abenden denke ich, dass wir das zweifelhafte Glück haben, am einzigen Grillplatz dieser Stadt zu wohnen. Hunderte von Feuern brennen in der Dämmerung, und der Himmel ist mit Qualmwolken bedeckt. Man hört die Menschenmassen schmatzen, glucksen, lachen und stöhnen, als hätten Dschingis Khans Horden auf ihrem Eroberungszug durch Europa kurz vor unseren Fenstern Halt gemacht, um sich ein paar leckere Pferde zum Abendessen zu braten.
    Ungefähr in der Mitte unseres Grillplatzes verläuft eine unsichtbare Mauer, die West- und Ostgriller voneinander trennt. Die Bewohner aus dem Wedding grillen auf der westlichen Seite des Platzes. Es sind in der Regel große türkische Familien, bestehend aus zwei Männern, fünf Frauen und zehn Kindern. Das Grillen scheint bei den Westgrillern eine heilige Zeremonie zu sein, es gleicht einem Opferfest. Bei gutem Wetter fangen sie schon am frühen Vormittag mit den Vorbereitungen an und bauen aufwändige Grillanlagen, Tische, Stühle, Bänke und Zelte auf. Manchmal bringen sie sogar Fernsehgeräte mit, so als wollten sie ihre ganze Wohnung eins zu eins unter freiem Himmel nachbauen. Zuletzt, wenn die Kohle glüht, werden die toten Tiere ausgeladen.
    Auf der östlichen Seite grillen alte Studenten. Sie versammeln sich auch gerne in großen familienähnlichen Gruppen – fünf Männer, drei Hunde, zwei Frauen, ein Kind. Ihre Grillausstattung ist asketisch: ein paar Kisten Bier, eine Gitarre und ein Spielzeuggrill für Magersüchtige zum Preis von vier neunundneunzig. Sie sind ganz sicher keine Gourmets, dafür können ihre Frauen alle jonglieren.
    Gegen dreiundzwanzig Uhr wird auf der westlichen Seite das letzte Lamm geschlachtet, die Männer auf der östlichen Seite liegen im Gras, die Köpfe auf Grilldeckeln, und schauen in den Himmel, die Frauen werfen ihre Kegel und Kugeln in die Luft, die in der Dämmerung leuchten. Ich kann dieses herrliche Bild jeden Abend von meinem Balkon aus beobachten. Wenn wir mit unseren Kindern tagsüber auf dem Platz Frisbee spielen, rutscht uns die Scheibe nach fünf Minuten aus der Hand, so fettig ist dort das Grün. Dafür komme ich viel besser mit Tieren klar, seit ich an diesem Ort wohne. Ob ich einkaufen oder spazieren gehe, jedes Mal laufen irgendwelche fremden Hunde mit herausgestreckter Zunge hechelnd hinter mir her. Kaum bleibe ich stehen, schon leckt einer von ihnen meine Schuhe ab. Ich glaube, es liegt am Geruch. Sie denken, ich habe eine verbrannte Wurst in der Hosentasche.
    TIPP:
    Wenn Sie im Tiergarten spazieren gehen, kann es Ihnen passieren, dass Sie von einer türkischen, polnischen, koreanischen, arabischen oder griechischen Grillgesellschaft eingeladen werden. Die Höflichkeit gebietet es, nicht mit leeren Händen dazustehen. Deswegen sollte man auf alle Fälle immer ein paar Hühnerbeine in der Tasche haben.
    Die thailändischen Grillgesellschaften treffen sich am Wochenende im Park am Fehrbelliner Platz. Dort muss man das Essen zahlen, wenn man sich einlädt.

Berliner Ökonomie
    Jede Großstadt braucht außer Kneipen, Einkaufszentren und Parkanlagen auch ein bisschen Wirtschaft. Ganz ohne Wirtschaft könnten die Bürger an den zahlreichen Attraktionen der Hauptstadt nur bedingt teilnehmen: Sie hätten nicht genug Geld. Berlin hat kaum noch Wirtschaft, und deswegen müssen sich hier viele mit den skurrilsten Beschäftigungen durchs Leben schlagen. Meine Freunde, die in Berlin studieren, nehmen zum Beispiel oft ausgefallene Arbeitsangebote im Dienstleistungsbereich an, wo sie dann allerhand Abenteuer erleben, ein wenig Geld verdienen und mir anschließend alles erzählen, damit ich darüber schreiben kann, was mir wiederum etwas einbringt. So kommen wir alle über die Runden.
    Neulich suchte die studentische Jobvermittlung der FU drei russische Männer mit kräftigen Stimmen. Unser Freund Stasik, der bei der Russendisko immer am lautesten schreit, meldete sich sofort zusammen mit zwei anderen BWL-Studenten. Die drei sollten auf einem alten sowjetischen U-Boot einen Schiffbruch auf Russisch vertonen. Das Original-Kriegsschiff wurde anschließend in einem Seefahrtmuseum in der Nähe von Rostock ausgestellt. Und jedes Mal wenn nun eine Touristengruppe das Innere des Schiffes betritt, geht das Geschrei meiner Freunde los.

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