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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Betonmischer beobachtete. War es vielleicht ein besonderer Betonmischer? Drehen sich die Dinger in Japan vielleicht andersherum? Ist das eine Zeile im Reisetagebuch wert? »Gestern in Berlin, habe Asbest inhaliert, danach halbe Stunde lang Betonmischer beobachtet. Anfangs leichte Halluzinationen, kleine rote Sternchen, später Müdigkeit, Erschöpfung.«
    Nicht nur die Taxifahrer, auch viele meiner Bekannten meckern über die Touristen. Ich aber mag sie. Ich zeige ihnen gerne, wie sie da und dort hinkommen, auch wenn ich den richtigen Weg selbst nicht kenne.
    »Wohnen Sie wirklich hier?«, fragen sie mich.
    »Ja«, antworte ich, »und wie! In fünfter Generation!«
    Sie wundern sich. Der Alltag des einen ist das exotische Abenteuer des anderen. Man kommt sich dabei selbst wie eine Sehenswürdigkeit vor.
    Während sich die Touristen in Berlin hauptsächlich an, auf, hinter, vor und zwischen den Baustellen austoben, gehen sie in Moskau als Erstes in die Lebensmittelgeschäfte, die sie anscheinend sehr exotisch finden. Sie kaufen dort kiloweise Sachen ein, die sie nie benutzen werden. Außerdem stellen sie Fragen. »Warum heißen diese Papirossy ›Belomorkanal‹?« – »Und wieso heißt diese rosarote Wurst ›Laienwurst‹?« – »Woraus wird Laienwurst eigentlich gemacht?« – »Und warum heißt diese Seife ›Wohin Lenin überall kam‹?«
    »Warum, warum, warum?«
    »Darum«, wehren sich die Russen.
    »Schmeckte denn früher wirklich alles besser?«, lassen die Touristen nicht locker. »Oder nicht doch alles schlechter?«
    »Ah ja«, winken die Russen ab, »wissen Sie, am liebsten essen wir Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Kartoffeln, Möhrchen, Zwiebeln …«
    »Und warum keine Radieschen?«, haken die Ausländer nach.
    »Verpisst euch!«, regen sich die Russen auf.
    Die Touristen notieren: »Gestern in Moskau. Papirossy der Marke Belomorkanal inhaliert. Danach eine Laienwurst gegessen. Erste zehn Minuten absolute Euphorie, danach die ganze Nacht gekotzt. Schlimmer als Asbest, diese Papirossy! Die Russen sind seltsam. Mögen keine Radieschen.«
    Was wäre unsere Welt ohne die Touristen, die sich für alles interessieren, allem nachforschen und alles hinterfragen. Wer, wie, was, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.
    In ihren Notizen lebt die Welt wieder auf.
     
    TIPP:
    Eine der größten Berliner Sehenswürdigkeiten ist der Rückbau des Palasts der Republik und der Wiederaufbau des Stadtschlosses an derselben Stelle, das schon 1448 beim Neubau auf Kosten der Bürger für großen Ärger sorgte – der als »Berliner Unwille« in die Geschichte einging.
    Gegen einen geringen Aufpreis können Sie sich heute an den Abrissarbeiten beteiligen und den einen oder anderen Betonbrocken als Souvenir mit nach Hause nehmen.

Unterwegs in der Sonnenstadt Berlin
    Zwei Jahre lang war ich beim ZDF beschäftigt. Beinahe jede Woche zogen wir mit einem Kamerateam durch die Stadt, um für das Frühstücksfernsehen die Berliner bei der Erfüllung ihrer täglichen Pflicht als Hauptstadtbewohner zu filmen. Die Themen sollten leicht und entspannend sein: Sonne, Kneipen, Restaurants, Grillpartys. So entstand auch die Idee, im Restaurant Käfer zu drehen, das sich in der Glaskuppel des Reichstags befindet. Meine Redakteurin Ulrike hatte gelesen, dass dieses Restaurant keine ausländischen Produkte mehr anbot und sich stattdessen für die gute deutsche Küche einsetzte. Statt Prosecco wurde dort Sekt aus Baden angeboten, statt Grappa Trester – alles teuer und fein.
    Wie jeder echte Berliner war ich noch nie in der Reichstagskuppel gewesen. Ich hatte sie nur einmal im Fernsehen gesehen und dabei den Eindruck gewonnen, dort würden die Leute Tag und Nacht Schlange stehen. Aber als wir uns zum verabredeten Termin dort oben trafen, war gar nichts los. Der Restaurantmanager war sehr freundlich, er hatte für uns einen Tisch mit Ausblick auf das Kanzleramt reserviert. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und die Gerüche aus der Küche verstärkten meinen Hunger. Laut Drehplan sollte ich irgendetwas von der Karte bestellen und dabei etwas über die deutsche Küche sagen. Wir hatten nicht viel Zeit. Bald würde eine große Touristengruppe aus einem weit entfernten Land kommen, erklärte uns der Manager.
    Ich beriet mich mit dem Kellner. Beelitzer Kaninchen seien alle, und Zicklein auf Leipziger Allerlei würde zu lange dauern, meinte er. Chiemsee-Renke auf der Haut gebraten gehe dagegen ganz schnell. Ich wusste nicht, wer

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