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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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Aktionskunst in Moskau aufblühte. Viele Künstler gingen als ihr eigenes Werk auf die Straße und in die Museumssäle. Einer kackte zum Beispiel während seiner Aktion »Van Gogh ist toll, und ich bin Scheiße« im Puschkin-Museum vor den versammelten Museumswächtern und Kunstkritikern auf das Parkett. Ein anderer zerhackte Ikonen in der Öffentlichkeit. Ein Dritter ließ sich mitten in der Stadt an ein Kreuz nageln, nachdem ihm ein Helfer zuvor mit dem Skalpell den Satz »Ich bin nicht der Sohn Gottes« in den Rücken geritzt hatte. Alle drei wurden zu Verbrechern gestempelt, mehrere Institutionen und Privatpersonen hatten sie angezeigt. Die Künstler mussten schließlich das Land verlassen. Aber ihr provozierendes Anliegen wurde von der jüngeren Generation übernommen.
    »Haben Sie eigentlich eine Drehgenehmigung?«, fragte uns der Museumswächter im Guggenheim Museum. Wir hatten alles. Also stellte ich mich vor einem der schwarzen Quadrate auf und sagte meinen Spruch: »Hier können Riko und seine Freunde … Entschuldigung … Der Zauber dieser Kunstwerke wird erst sichtbar, wenn man ganz genau und lange genug auf das Quadrat schaut. Dann kommt nämlich in der unteren linken Ecke eine kleine weiße Maus heraus.« Der Museumswächter blickte starr auf das Bild. Das Publikum guckte interessiert. Malewitsch lachte.
    TIPP:
    Die berühmtesten Kunstwerke Berlins sind die Nofretete im Alten Museum auf der Museumsinsel, dann das ebenfalls dorthin verschleppte kleine Ischtar-Tor sowie das Rembrandt-Bild »Der Mann mit dem Goldhelm«, auch bekannt als »Mann mit dem Stahlhelm«, in der Gemäldegalerie des Kulturforums am Potsdamer Platz.

    Berliner Musik
    In einer Großstadt soll alles seine Ordnung haben. Deswegen hat jeder Baum in Berlin eine Nummer. Vor dem Eingang unserer Kaufhalle ist ein spezieller Zähler in Form eines Studenten installiert, um alle, die rein- und rausgehen, zu registrieren. Polizisten in Zivil handeln im LSD-Viertel zwischen Lychener, Schliemann und Dunckerstraße mit Haschisch, um das Drogenverhalten der Bevölkerung zu analysieren. Die Stadt bietet viele Möglichkeiten für systematische Forschung. Mein Kollege Helmut Höge und ich nehmen auch daran teil: Unser Forschungsobjekt sind Straßenmusikanten. Seit Jahren beobachten wir sie, egal, ob sie mit oder ohne Genehmigung beziehungsweise mit oder ohne musikalische Ausbildung spielen. Regelmäßig ziehen wir mit einem Aufnahmegerät durch die Stadt, um danach im Labor unsere Ausbeute an Straßenmusik zu klassifizieren.
    Letztens waren wir an einem besonderen Tag unterwegs – am Weltspartag. Dieser Tag spielte schon immer eine wichtige Rolle in Westdeutschland und Westberlin, erklärte mir Helmut. Denn jedes Kind hatte früher mindestens ein Sparbuch und wurde gleich nach seiner Geburt zur intensiven Vermögensbildung durch Sparen aufgefordert. Auch Helmut hatte als Kind mehrere Post-Sparbücher, die sich aber durch unterschiedliche Lebensschwankungen nicht zu einem Vermögen, sondern zu einem ewig überzogenen Dispokredit bei der Postbank entwickelten. In Ostdeutschland gab es immer mehr Geld als Waren, deswegen war die gesamte Geschichte der DDR ein einziger langer Weltspartag. Bei uns in der Sowjetunion gab es weder Geld noch Waren, also blieb uns dieser Festtag des Sparens erspart.
    Den ersten Musiker an jenem Weltspartag fanden wir in der Unterführung Friedrichstraße. Jung, männlich, russisch. Musikinstrument: ein Keyboard der Marke Roland. Gespielt wurde eine Phantasie aus Tschaikowskys »Schwanensee« und dem Beatles-Song »She loves you«. Besondere Bemerkung: Die Tschaikowsky-Musik, gemischt mit den U-Bahn-Geräuschen, klingt so authentisch, als wäre sie extra für die Unterführung Friedrichstraße komponiert worden. Innerhalb von zwanzig Minuten hat der Musiker damit aber nichts verdient.
    Im heutigen wiedervereinigten Deutschland ist Sparen ein wichtiges Thema. Laut Statistik stirbt jeder Deutsche mit durchschnittlich hundertfünfzigtausend Euro auf dem Konto. Die Finanzexperten sehen darin eine Besinnung der Deutschen auf die alten Wikingersitten. Alles Wertvolle nahmen die Wikinger mit ins Grab. Die Krieger ließen ihre Waffen, ihre schicken Kleider und den Körperschmuck mit sich begraben, behaupten die Finanzexperten. Was man aber in Walhalla mit hundertfünfzigtausend Euro machen soll, das habe ich nicht verstanden.
    Am Alexanderplatz ist nichts zu hören. Auch am Leopoldplatz – keine Spur von Musik. Wo sind sie nur

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