Ich bin kein Berliner
geschissen.
TIPP
Die Bewohner der deutschen Schnellzeitzone sind in besonderem Maß auf ausgefallene Uhren fixiert. Zu den wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt zählen deswegen die Mengenlehreuhr an der Budapester Straße und die Wasseruhr im Europacenter sowie ihre Antagonisten – die Weltzeituhr am Alexanderplatz und die »größte Uhr Europas« am halb leer stehenden Marzahner Hochhaus »Pyramide«.
Berliner Hochzeiten
Heiraten ist in Deutschland unpopulär geworden, und die Nettoreproduktionsrate geht auch ununterbrochen nach unten. Die meisten Berliner, die ich kenne, führen ein Familienleben ohne Trauschein und das seit Jahrzehnten. Sie stehen zueinander in guten und schlechten Zeiten, teilen gerecht ihre Ernte auf, und die Väter erkennen regelmäßig ihre eigenen Kinder an und ziehen sie groß, ohne ihre privaten Beziehungen dem Staat zu offenbaren und sich amtlich zum Ehegattendasein zu verpflichten. Erwachsene Menschen brauchen keine Beamten und keine Zeugen, um einander das Jawort zu geben. Der Vorteil einer solchen Lebensgemeinschaft ist: Man spart jede Menge Papierkram, muss seine Zeit nicht in den Gängen irgendwelcher Ämter vergeuden, und sollte das Familienleben scheitern, ist die Tür für beide Seiten immer offen. Man ist niemandem Rechenschaft schuldig.
Als offiziell verheirateter Behördenhasser muss ich trotzdem zugeben, dass von allen Angelegenheiten, die in Berlin bürokratisch geklärt werden, eine Amtsheirat die schönste ist. Die Beamtin trägt ein schickes Kleid und holt aus dem Wandschrank einen Kassettenrekorder. Man darf sogar seine Lieblingsmusik mitbringen und zusehen, wie die Beamtin zu dem beliebten Punksong »Anarchy in the UK« strammsteht. Ich fand das lustig. Nur verstehe ich aber auch die Leute, die sich eine solche festliche Amtsmaßnahme ersparen wollen. Sie ist jedoch unvermeidlich, wenn die Braut oder der Bräutigam aus dem Ausland kommen. Und nicht aus irgendeinem Ausland, sondern aus dem schlechten Ausland der Gruppe B, die über einen extra Eingang in der Ausländerbehörde verfügt. Die Beamten dort glauben natürlich nicht, dass die Zugereisten aus der Gruppe B die Deutschen wirklich lieben. Wofür auch? Aber sie verführen die Deutschen und verdrehen ihnen den Kopf, um an deren fette Sozialhilfe heranzukommen. Die Behörde muss die Bürger schützen. Denn alles vergeht früher oder später, auch die Liebe und sogar die Scheinliebe. Die Sozialhilfe aber bleibt in der Staatskasse, denken sie.
Die Standesbeamten sind in der Regel nett und freundlich und heißen alle herzlich willkommen, die in ihren Vorzimmern sitzen: hübsche muskulöse Afrikaner mit älteren deutschen Damen, pickelgesichtige Jungs mit jungen Thailänderinnen und reife wohlhabende Germanen mit schicken weißrussischen Bräuten. Sie sprechen mit jedem. Immerhin ist Deutschland ein demokratisches Land, und jeder darf hier Anträge ausfüllen, bis ihm übel wird. Sie verlangen Unterlagen, die phantastische Namen tragen und in den Ländern der Gruppe B schwer aufzutreiben sind. Allein schon das Wort »Ehefähigkeitszeugnis« ist in kaum eine Sprache jener Länder übersetzbar. Doch wenn die Heiratskandidaten nicht völlige Idioten sind, besorgen sie alle Papiere und werden verheiratet. Die deutsche Stahlhelmbehörde wird von den dienstleistungsorientierten Behörden der Länder der Gruppe B inzwischen mit jedem erdenklichen Nachweis beliefert, sogar ein Jungfräulichkeitszeugnis bei mehrfachen Müttern ist kein Problem mehr. Also muss die Beamtin nach einer gewissen Zeit doch ihren Kassettenrekorder mit der Mendelssohn-Kassette aus dem Wandschrank klappen.
Mit der standesamtlichen Eintragung bekommt der Ausländerteil nicht automatisch das Aufenthaltsrecht in Deutschland. Denn die frisch Verheirateten könnten sich ja rein theoretisch für ein glückliches und zufriedenes Leben in einem der Länder der Gruppe B entscheiden. Wenn das nicht der Fall ist, müssen sie zur Ausländerbehörde, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gemischte Ehen in Deutschland auszurotten. Dort wird nicht mehr Mendelssohn gespielt und nicht mehr über die Liebe gesprochen. Auch die Ehefähigkeit des Partners interessiert dort niemanden mehr. Dem deutschen Staatsbürger wird erklärt, dass er sich im Falle einer Scheinehe strafbar macht, hundertprozentig im Knast landet und nie wieder herauskommt. Dem Ausländer wird klargemacht, es wäre besser für ihn gewesen, er hätte nie sein Land der Gruppe B verlassen. Noch ist
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