Ich bin kein Berliner
russischen Künstler Makarow einfinden, die an unterschiedlichen Orten stattfinden. Mein Tipp: Ob Pferde oder Kakerlaken, setzen Sie auf Tiere aus dem Osten, die noch nie im Westen gelaufen sind.
Berliner Wirtschaft
Das hatte ich schon lange vermutet, konnte es aber nie beweisen: Die Beschäftigungsstatistik legt nun nahe, dass weniger als zehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in Berlin in der Großindustrie tätig ist. Die Produktion von Massenwaren wird zum größten Teil also nicht mehr von Männern mit Schutzhelmen gewährleistet, die man gelegentlich im Fernsehen sieht, wo sie aufgebracht für ihre Arbeitsplätze und Löhne demonstrieren, sondern von anspruchslosen Robotern, die außer Strom so gut wie nichts brauchen. Sie sind so programmiert, dass die Herstellung von Massenware der alleinige Sinn ihrer Existenz ist.
Die Welt der Holdings und Multis weicht immer mehr vom real existierenden Arbeitsmarkt ab. Lebendige Menschen haben in den Großbetrieben kaum noch etwas zu suchen. Zwar sind die Osteuropäer und die Chinesen angesichts der steigenden Stromkosten den Robotern zurzeit noch eine starke Konkurrenz, doch früher oder später wird es der Großwirtschaft bestimmt gelingen, die Produktionskosten gegen null zu senken. Entweder werden sie solche Roboter erfinden, die unter Umständen bereit wären, auch ohne Strom zu arbeiten, aus einprogrammierter Überzeugung quasi, oder sie werden die bereits bewährten Roboter mit den zahlreichen deutschen Windkraft- beziehungsweise Biogasanlagen kurzschließen. So oder anders werden die schlauen Manager einen Weg finden, die letzten Arbeiter aus der Massenproduktion zu verjagen.
Je weniger Menschen in den großen Betrieben tätig sind, umso mehr steigen bei den mittelständischen Unternehmen ein. Diese Tendenz ist seit drei Jahrzehnten steigend, und in Berlin ist mittlerweile die ganze Stadt in kleinen Betrieben untergekommen. Das kann ein Lebensmittelladen, eine Elektrofirma oder eine Kneipe sein – als mittelständischer Betrieb zählt jeder, der weniger als tausend Mitarbeiter beschäftigt. Und über neunzig Prozent aller Kleinbetriebe haben weniger als zwanzig Beschäftigte. Die Kriterien für ein mittelständisches Unternehmen sind einleuchtend: Es muss eine Wirtschaftsweise ausüben, bei der es nicht auf die Menge ankommt. Das heißt zum Beispiel für eine Kneipe, nicht gleich alle Kunden bis zum Deckel abzufüllen. Außerdem muss so ein Unternehmen Flexibilität zeigen, eine geringe Wettbewerbsfähigkeit haben und ruhig ab und zu einmal pleitegehen. Aber das wichtigste Kriterium – anders als bei den Großkneipen, die in ihren unzähligen Filialen anonyme Roboter am Tresen einsetzen: Ein mittelständischer Betrieb muss stark durch die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt sein. Diese Personifizierung ist der größte Trumpf eines Kleinbetriebes, wenn es um das Überleben in Zeiten der Globalisierung geht.
Berlin funktioniert wie ein Kleinbetrieb. Alle meine Nachbarn, Freunde und Bekannten sind laufend bei den unterschiedlichsten kleinen Klitschen beschäftigt, wenn sie nicht gerade arbeitslos sind. Die Karrieren, die sich hier die meisten zulegen, können sehr verwickelt sein und zeugen von großer Flexibilität. Vom Schuhverkäufer zum Solariumsbesitzer, vom Übersetzungsbüroleiter zum Fotolabormitarbeiter ist es oft nur ein kleiner Schritt. Jeder Tag bringt eine Pleite und eine Neugründung auf unsere Straße. Nur meine vietnamesischen Nachbarn sind über Jahre hinaus ihrem nach der Wende angenommenen Beruf des Gemüsehändlers treu geblieben. Von früh bis spät sitzen sie mit ihren Kindern und Verwandten in ihrem Laden und spielen auf einem quadratmetergroßen Stück Karton die fernöstliche Variante des Kreuz-Nullen-Spiels, mit hunderten von Kreuzen und Nullen, die sich scheinbar willkürlich auf dem Papier ausbreiten. Dazu hören sie vietnamesische Volksmusik. Sie sind die vorbildlichsten Mittelständler, die ich überhaupt kenne, denn ihr Laden ist stark durch ihre Persönlichkeiten geprägt. Außerdem machen sie sich anscheinend keine Sorgen wegen der begrenzten Wettbewerbsfähigkeit des Ladens. Ihre Beschäftigung scheint auf mehrere Jahre vorprogrammiert zu sein. Sie ernähren sich in den Pausen von dem Gemüse, das sie im Laden vorrätig haben, dann spielen sie weiter. Ein zufälliger Kunde wird niemals herausfinden, wer denn nun endlich gewonnen hat.
Während ich diese Zeilen in einem mittelständischen Berliner Café schreibe,
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