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Ich bin kein Berliner

Ich bin kein Berliner

Titel: Ich bin kein Berliner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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dar. Ein noch größeres ist jedoch das Schweigen Gottes. Es scheint, als würde er sich für das menschliche Treiben auf Erden gar nicht mehr so interessieren.« Wer hat dem Papst das bloß in seine Rede geschrieben? Viele Katholiken waren empört, die zuständigen Behörden im Vatikan ermitteln.
    Von allen Zweifeln unberührt bleiben zum Glück die schwarze Katze, die juckende Hand, der Schornsteinfeger und die Spinne. Und natürlich der Schluckauf. Wenn man einen bekommt, bedeutet das immer: Jemand liebt dich, jemand denkt an dich, jemand sucht dich.
    TIPP
    Den großen Kirchen gegenüber sind die Berliner glaubensfaul. Die zahlreichen protestantischen sowie katholischen Häuser stehen meistens leer. Die Lutheraner versuchen deswegen das Publikum mit Punkkonzerten und ähnlichen Veranstaltungen in ihre Gotteshäuser zu locken. Unter dem Motto »Auch Jesus hat Partys gefeiert« öffnen sie ihre Türen so weit wie möglich und verkaufen sogar Bier und Wein. Die Katholiken setzen dagegen eher auf den Da Vinci Code und den Zorn Gottes. Beide Glaubenshäuser würden gerne einen Großteil ihrer ständig renovierungsbedürftigen Immobilien verkaufen – nur natürlich nicht an einander. Sie lassen ihre gemeindelosen Kirchen zu Schwimmbädern, Clubs oder Jugendhotels umbauen. Alles ist möglich, außer einer Moschee. Die bekanntesten Berliner Kirchen sind die Gedächtniskirche am Breitscheidplatz und die zu einem Multifunktionsraum umgebaute Heilig-Kreuz-Kirche am Halleschen Tor. Gut für die Seele ist auch ein Besuch im Buddhistischen Kloster in Frohnau, das derzeit von Mönchen aus Sri Lanka betreut wird, die ihrerseits von Mädchen aus Thailand versorgt werden.

    Eine Vision für Berlin
Meine erste Rede als Bürgermeisterkandidat
    Spekulation und nicht Produktion ist der wahre Kern des Kapitalismus. Verständlicherweise wurden die Möglichkeiten der Aktienspekulation lange Zeit ausgeblendet. Im Kampf der Ideologien brauchte der Westen einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz – sozial gerecht, ethisch, moralisch, traditionsbewusst und ohne ins Auge stechende Armut. Die Politik investierte in dieses Modell, um gegen den Sozialismus zu bestehen. Das hat gut funktioniert:
    Der Sozialismus gab nach, und mit ihm ging auch der Kapitalismus mit menschlichem Antlitz unter. An seine Stelle trat der gemeine Kapitalismus, frech und gewissenlos. Er verlieh der Wirtschaft den richtigen spekulativen Schwung, alles ging auf einmal wie im Flug, vor allem die Arbeiter. Sie flogen als unnützer Kostenfaktor sogar am schnellsten (die Treuhand sprach anfangs von »Großflugtagen«), denn der gemeine Kapitalismus wollte spekulieren, nicht produzieren. Die Politik machte nun mit dem Kapitalismus andere Geschäfte. Mit Hilfe der Politik wurden die Gewinne privatisiert, die Verluste dagegen verstaatlicht. Aufgrund eines solchen Geschäfts hat zum Beispiel die Stadt Berlin einen Schuldenberg abzutragen, an dem die Bewohner völlig unschuldig sind. Die Politiker und Bankiers, die für ihn verantwortlich sind, leben inzwischen schuldenfrei auf Hawaii.
    In einer so stark verschuldeten Stadt war der Job des Bürgermeisters bisher darauf reduziert, regelmäßig Steuern als Zinszahlung für bestehende Schulden zu überweisen. Sollte einmal etwas in der Staatskasse übrig bleiben, bekam es die Oper. Da ist nichts zu machen, niemand will uns helfen, klagte der Bürgermeister. Aber statt sich wie eine beleidigte Leberwurst aufzuführen, sollte die Stadt sich die Regeln des Gegners zu eigen machen und sich in eine Firma verwandeln. Am besten in eine Aktiengesellschaft, deren Aktionäre die Einwohner sind.
    Als Bürgermeister würde ich für das alte überschuldete Berlin daher Pleite anmelden und gleichzeitig eine neue Stadt gründen: die New Berlin AG – potent, kreativ und unverschuldet. Das alte Berlin steht dann natürlich zur Auktion. Nicht ausgeschlossen, dass wir ein paar Bezirke an private ausländische Investoren verkaufen müssen. Welche Bezirke das sind, könnten wir per Volksentscheid festlegen, obwohl ich persönlich am liebsten die fünf Bezirke loswerden würde, die letztes Jahr für die NPD gestimmt haben. Sie werden an ausländische Investoren mit ehrgeizigen Projekten und großen Bauvorhaben verkauft. Mir schweben da die längste Achterbahn der Welt, die größte Moschee Europas oder ein Scientology Center vor. Und in einem, höchstens drei Jahren, wenn die ausländischen Investoren von unseren Mitbürgern genug haben werden und

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