Ich bin kein Serienkiller
wieder das Monster – ein Bild von ihrem Arm, der abgetrennt auf dem Boden lag, wäre sehr wirkungsvoll gewesen. Mit Mühe unterdrückte ich den Impuls und packte meinen Rucksack wieder ein, während ich das GPS ständig im Auge behielt. Es war Zeit für Phase drei.
Dann hielt der Dämon wieder an.
Die Kreuzung erkannte ich nicht, aber beide Straßen waren nach Blumen benannt, also befand er sich vermutlich in der Gartenstadt. Dieses Stadtviertel lag diesseits der Eisenbahnstrecke, die quer durch die Stadt zum Sägewerk führte. Der Dämon war jetzt in der Nähe der Stelle, wo er Max’ Dad umgebracht hatte. Dort fuhren mit Sicherheit Streifenwagen herum, er ging also ein großes Wagnis ein. Vielleicht hatte ihn ein Cop angehalten. Ich hielt den GPS-Empfänger in einer Hand, nahm das Handy in die andere und wartete. Das Auto bewegte sich nicht. Jetzt oder nie. Ich schrieb eine Kurznachricht, hängte das erste Foto von Kay daran und wählte Mr Crowleys Nummer:
ICH BIN AM ZUG
Direkt danach setzte ich eine weitere Mitteilungen ab, dann die dritte und schließlich noch weitere Nachrichten. Das GPS-Gerät hatte ich abgelegt, um mit beiden Händen möglichst schnell das Handy zu bedienen und eine Schreckensbotschaft nach der anderen abzufeuern. Kurz danach schickte ich überhaupt keinen Text mehr, sondern nur noch Fotos, eins nach dem anderen. Ein Fotoalbum der Leiden, die ich der Frau des Dämons zugefügt hatte. Endlich hielt ich inne und betrachtete fluchend den reglosen Pfeil auf dem GPS-Gerät. Warum fuhr er nicht weiter? Was tat er? Wenn ich ihn nicht rechtzeitig erwischte, würde er wieder jemanden töten, und der ganze Plan und alles, was ich getan hätte, wäre vergebens gewesen. Er musste mit Töten aufhören, es durfte keine weiteren Opfer geben. Hatte ich zu lange gewartet?
Als das Handy klingelte, hätte ich es beinahe wieder fallen gelassen. Auf der Anzeige erkannte ich Mr Crowleys Nummer – ich war zu ihm durchgedrungen. Ohne den Anruf anzunehmen, schickte ich ihm weitere Fotos: Kay im Schlaf, Kay mit dem Kopfkissenbezug und dem Knebel, Kay an die Heizung gefesselt. Gleich darauf ruckte der Pfeil auf dem Bildschirm, wechselte die Richtung und flog förmlich die Straße entlang. Mr Crowley hatte auf den Köder angebissen, aber würde das ausreichen? Aufmerksam beobachtete ich den Bildschirm und hoffte, das Auto möge schleudern und von der Straße abkommen – irgendein Anzeichen, dass sein Körper endlich zerfiel. Nichts dergleichen geschah.
Der Dämon war bei Kräften, er hatte eine Mordswut und fuhr geradewegs in meine Richtung.
ACHTZEHN
Auf dem GPS-Bildschirm kam der Pfeil rasend schnell näher. Ich sah mich im Zimmer um – sah das zerwühlte Bett, das Durcheinander auf der Kommode, den geschundenen Körper meiner Nachbarin gefesselt und geknebelt auf dem Boden. Aufräumen konnte ich nicht mehr – mir blieb gerade noch genug Zeit, um das Haus zu verlassen, ehe der Dämon zurückkam, ganz zu schweigen davon, ein Versteck zu finden. In wenigen Sekunden würde ich sterben, Crowley würde mir die Brust aufschlitzen und das Herz herausreißen. Nachdem ich seine Frau angegriffen hatte, würde er vermutlich aus Rachsucht meine ganze Familie töten.
Nun ja, meine ganze Familie außer Dad – viel Glück beim Versuch, ihn zu finden. Manchmal zahlt es sich aus, den psychopathischen Sohn sitzen zu lassen.
Ich hatte mich fast schon in mein Schicksal ergeben, dann aber regte sich das Monster in mir. Es riss mich aus meinen fatalistischen Gedanken und trieb mich an, meine Sachen einzusammeln – das GPS-Gerät, die Skimaske, den Rucksack – und mich zur Tür zu bewegen. Nach dem Selbsterhaltungstrieb kam allmählich auch mein Verstand wieder in Gang. Ich kehrte ins Zimmer zurück und suchte den Boden ab, ob ich irgendetwas fallen gelassen hatte. Über die DNA-Spuren machte ich mir keine Sorgen, denn ich war mit Erlaubnis der Bewohner so oft im Haus gewesen, dass ich vermutlich alles erklären könnte, was die Polizei fände. Vermutlich konnte man sogar die Telefonaufzeichnungen irgendwie in Ordnung bringen. So wäre es mir nach wie vor möglich, meine Identität zu verbergen. Als Letztes schaltete ich die Lampe aus und huschte nach draußen in den dunklen Flur.
Im Haus war es stockfinster, und ich brauchte einen Moment, bis meine Augen sich an die Dunkelheit angepasst hatten. Blind stolperte ich zur Treppe und legte eine Hand an die Wand, weil ich es nicht wagte, die Taschenlampe einzuschalten.
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