Ich bin kein Serienkiller
Herzen, Blasen und Gehirne, ausgestellt wie die Sonderangebote im Supermarkt. Auf der Treppe wurde ich langsamer und passte bei jedem Schritt auf. Ich wusste bereits, dass die sechste Stufe auf der rechten Seite ziemlich laut und die siebte Stufe links leise knarrten. Ich wich den Stellen aus und stieg nach oben.
Die Treppe führte in die Küche, die kalt und farblos im Mondlicht lag. Ein Blick auf das GPS-Gerät verriet mir, dass der Dämon immer noch in der Innenstadt unterwegs war. Er suchte wohl nach Opfern oder wollte zum Highway, um Anhalter oder andere Reisende zu finden. Es sollte mir recht sein, solange er nur in Bewegung blieb.
Mit ausgeschalteter Taschenlampe schlich ich vorsichtig den Flur entlang. Hauptsächlich bewegte ich mich jetzt nach meiner Erinnerung, denn bei den Reparaturen am Sonnabend hatte ich mir alles genau eingeprägt. Der Dämon hatte mich durchs ganze Haus geführt, und sobald sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wusste ich, wo ich war und wohin ich gehen musste. Von der Küche aus verlief der Flur in den hinteren Teil des Hauses, und in der Nähe der Hintertür führte die Haupttreppe in einem Bogen wieder nach vorn und zum ersten Stock hoch.
Im Haus war es völlig still. Wieder überprüfte ich das GPS-Gerät – der Dämon fuhr immer noch mit dem Auto. Ich stieg hinauf.
Am oberen Ende der Treppe zählte ich die Türen und wandte mich dann zur zweiten auf der rechten Seite. Das Schlafzimmer. Langsam, damit sie nicht quietschte, öffnete ich die Tür. Die Scharniere gaben keinen Laut von sich. Ich lächelte erfreut, weil ich so vorausschauend gewesen war, sie zu ölen. Der Raum dahinter war dunkel, das einzige Licht kam von einem Radiowecker auf einer alten Kommode. Mrs Crowley schlief, sie war so klein und zerbrechlich. Selbst mit einer dicken Decke, die ihr mehr Volumen gab, wirkte sie noch winzig, als hätte sich über Nacht ihre Lebenskraft zurückgezogen und als wäre ihr Körper geschrumpft. Das Bett schien sie fast zu verschlucken. Hätte nicht der Atem regelmäßig ihren Oberkörper gehoben, dann hätte man sie für tot halten können.
Der Dämon liebte diese winzige Frau so sehr, dass er alles tat, um bei ihr zu bleiben. Ich stellte den Rucksack ab, hielt den Atem an und schaltete eine Lampe ein.
Sie wachte nicht auf.
Auf der Kommode schob ich Brillen und Schmuckkästchen hin und her, bis ich gefunden hatte, was ich suchte: Mrs Crowleys Handy. Ich klappte es auf, ging zur Tür, peilte das Bett an und machte Aufnahmen mit der eingebauten Kamera. Klick, speichern, ein Schritt, klick, speichern, ein Schritt, klick, speichern. Jedes Mal etwas näher. Das hätte einen netten dramatischen Effekt, wenn ich die Bilder abschickte. Für das letzte Foto beugte ich mich weit vor und hielt das Handy dicht über ihr Gesicht, um eine Nahaufnahme zu machen. Das Bild war hässlich und aufdringlich. Perfekt. Weiter zu Phase zwei.
Nun legte ich das Handy weg und ging langsam zur anderen Seite des Betts. Dort blieb ich stehen, beugte mich über Mrs Crowley und dachte nach. Ich konnte es nicht tun. Auf keinen Fall konnte ich so etwas tun. Mein Monster hatte sich schon einmal losgerissen, meine Mom bedroht und ihre Angst aufgesogen wie ein lebensrettendes Elixier. Wenn ich diesen letzten Schritt tat und meinen Plan durchführte, dann würde das Monster wieder erwachen. Ich würde ihm die Tür öffnen und es sogar einladen. Ich würde meinen dunkelsten Instinkten die Kontrolle überlassen, und dann könnte mich nichts mehr davon abhalten, durchzudrehen und die ganze Welt niederzubrennen. Das war viel zu gefährlich.
Mir blieb nichts anderes übrig. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich war schon zu weit gegangen, um jetzt noch umzukehren. Wenn ich zauderte, würde ich einen Menschen zum Tode verurteilen, denn wo immer Crowley jagte, er würde jemanden töten, und ich war nicht in der Nähe, um ihn daran zu hindern. Wenn ich heute zurückschreckte, würde ich es überhaupt nicht mehr tun, und dann würde Crowley immer und immer wieder töten, bis niemand mehr da war. Ich musste eingreifen, und es musste sofort geschehen.
Ich holte tief Luft, zog von Mr Crowleys Kissen den Bezug ab und hielt ihn über Kays Kopf. Einen Moment lang zögerte ich, während in mir das Monster tobte und mich anflehte, mich drängte und mich beschwor, es endlich zu tun. Dazu war das Monster doch da, oder nicht? Genau deshalb hatte ich es ja von der Leine gelassen. Es musste tun, was ich nicht tun
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