Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
denn dort bestand ein dringender Bedarf an einer Bildungseinrichtung. »Wir wollten ein Geschäft in einer Gemeinde sein, wo es keine Geschäfte gibt«, sagte er. Aber als sie sich dorthin begaben, um ein passendes Gebäude zu finden, sahen sie, dass ihnen jemand zuvorgekommen war.
Darauf beschlossen sie, in Mingora eine Mittelschule nach englischem Vorbild zu gründen. Da das Swat ein Reiseziel für Touristen war, mutmaßten sie, es gäbe womöglich Bedarf für Englisch.
Während mein Vater unterrichtete, durchstreifte Naeem jeden Tag die Straßen auf der Suche nach einem Gebäude, das zu mieten war. Eines Tages rief er aufgeregt meinen Vater an und berichtete, er hätte in einer wohlhabenden Gegend namens Landikas etwas gefunden. Es war das Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses, umgeben von einem Hof, auf dem die Schüler sich versammeln konnten. Die Vormieter hatten ebenfalls eine Schule betrieben, die Ramada-Schule, benannt nach der gleichnamigen Hotelkette. Der Betreiber war einmal in der Türkei gewesen und hatte ein Ramada-Hotel gesehen! Aber die Schule war finanziell am Ende – bei den beiden hätten eigentlich die Alarmglocken läuten müssen. Außerdem lag das Gebäude am Ufer des Marghazar, in den die Anwohner ihren Abfall hineinwarfen. Bei heißer Witterung stank er faulig.
Nach der Arbeit besichtigte mein Vater das Gebäude. Es war ein schöner Abend mit Sternen und einem Vollmond über den Bäumen, was er als gutes Zeichen nahm. »Ich war so glücklich«, erinnerte er sich, »mein Traum wurde wahr.«
Die zwei Männer steckten ihre gesamten Ersparnisse von 60000 Rupien in die Schule hinein, zudem liehen sie sich noch 30000 Rupien, um das Gebäude streichen zu lassen. Anschließend mieteten sie auf der anderen Straßenseite eine Hütte zum Wohnen und zogen auf der Suche nach Schülern von Haus zu Haus.
Der Bedarf an Englischunterricht erwies sich als gering. Und es gab unerwartete finanzielle Belastungen. Mein Vater beteiligte sich auch nach seiner College-Zeit an politischen Diskussionen. Jeden Tag fanden sich seine Mitaktivisten zum Tee ein. »Wir können uns den vielen Tee nicht leisten!«, klagte Naeem. Es zeigte sich auch, dass es ihnen schwerfiel, als Partner zusammenzuarbeiten, obwohl sie beste Freunde waren.
Obendrein traf ein ständiger Strom von Gästen aus dem Shangla-Distrikt ein, nachdem mein Vater nun einen Platz hatte, wo sie übernachten konnten. Wegen der melmastia, der Gastfreundschaft, müssen Verwandte willkommen sein. Wir achten keine Privatsphäre, und so etwas wie eine Verabredung oder Anmeldung gibt es nicht. Man kann jederzeit zu Besuch kommen, wann immer man will. Man kann auch so lange bleiben, wie man möchte. Ein Alptraum für jemanden, der gerade versucht, ein Geschäft aufzubauen.
Naeem trieb das zum Wahnsinn. Er sagte zu Ziauddin, wenn einer von ihnen Verwandte zu bewirten hätte, müsste er eine Gebühr entrichten. Ziauddin versuchte dann, Naeems Freunde und Verwandte zum längeren Bleiben zu bewegen, damit auch er bezahlen musste.
Nach drei Monaten hatte Naeem genug. »Ich kann nicht mehr«, sagte er. »Die einzigen Menschen, die an unsere Tür klopfen, sind Bettler, und wir geben ihnen noch unser Geld!«
Bald sprachen die beiden Männer kaum noch miteinander, deshalb riefen die einstigen Freunde einige Ortsälteste als Vermittler herbei. Mein Vater wollte die Schule weiter betreiben, daher bat Naeem um die Rückzahlung seines Anteils. Glücklicherweise hatte mein Vater einen anderen College-Freund, Hidayatullah, der sich bereit erklärte, ihm das Geld zu leihen und an Naeems Stelle zu treten.
Links: Hidayatullah, ein Freund meines Vaters, und ich vor unserem ersten Schulgebäude.
Rechts: Malik Janser Khan, mein Großvater mütterlicherseits, in Shangla.
Jetzt gingen die neuen Partner wieder von Haus zu Haus, erklärten den Menschen, dass sie eine Schule gegründet hätten und ihre Kinder unterrichten wollten. Mein Vater sei ungemein charismatisch, so sagte einmal Hidayatullah, lud man jemanden wie ihn zu sich nach Hause ein, um ihn mit den eigenen Freunden bekannt zu machen, dann wurden sie auch seine Freunde. Doch obgleich die Leute sich gern mit ihm unterhielten, schickten sie ihre Kinder am Ende auf bereits anerkannte Schulen.
Die Khushal-Schule hieß ja nach Khushal Khan Khattak, dem Krieger und Poeten aus Akora südlich des Swat, der im 17. Jahrhundert versuchte, alle paschtunischen Stämme gegen das Reich der Moguln zu vereinen. Am Eingang hing
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