Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Auspeitschungen zu sehen. Bei jedem Hieb riefen sie: »
Allahu akbar!
– Gott ist groß!« Manchmal kam Fazlullah auf einem schwarzen Pferd angaloppiert.
Seine Männer ließen die Beschäftigten der Gesundheitsdienste keine Poliotropfen mehr verabreichen. Sie sagten, die Impfung sei ein amerikanisches Komplott, um unsere Muslimfrauen unfruchtbar zu machen, um das Swat-Volk aussterben zu lassen. »Eine Krankheit zu heilen, bevor sie ausbricht, steht nicht im Einklang mit der Scharia«, predigte Fazlullah im Radio. »Man wird nirgendwo im Swat ein Kind finden, das auch nur einen einzigen Tropfen des Impfstoffs zu sich nimmt.«
Seine Männer patrouillierten auf der Suche nach Missetätern in den Straßen. Sie verhielten sich genauso, wie wir es von der Moralpolizei der Taliban in Afghanistan gehört hatten. Sie stellten eine freiwillige Verkehrspolizei zusammen, ein Falken-Kommando. Die Männer fuhren mit auf die Dächer ihrer Pick-ups montierten Maschinengewehren durch die Straßen.
Es gab Leute, die sich über all das freuten. Eines Tages lief mein Vater dem Direktor seiner Bank über den Weg. »Es ist doch gut, dass Fazlullah Frauen und Mädchen verbietet, auf den Cheena-Basar zu gehen, das erspart uns Geld«, meinte der.
Nur wenige machten den Mund auf. Mein Vater klagte, die meisten Menschen seien wie der Barbier in unserem Viertel, der murrte, er nehme am Tag nur noch 80 Rupien ein, weniger als ein Zehntel dessen, was er früher verdient hatte. Tags zuvor hatte er noch Journalisten erzählt, die Taliban seien gute Muslime.
Nachdem Radio Mullah etwa ein Jahr auf Sendung war, wurde Fazlullah militanter. Sein Bruder Maulana Liaquat und drei seiner Söhne waren unter denen, die Ende Oktober 2006 bei einem amerikanischen Drohnenangriff auf die Madrasa in Bajaur getötet worden waren. Bei dem Anschlag kamen insgesamt 80 Menschen ums Leben, darunter Jungen von zwölf Jahren, von denen einige aus dem Swat waren.
Dieser Angriff entsetzte alle, und die Einheimischen schworen Rache. Zehn Tage später sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der Armeebaracke in Dargai, das am Weg von Islamabad nach Swat liegt, in die Luft und riss 42 pakistanische Soldaten mit in den Tod. Damals waren Selbstmordattentate selten in Pakistan – in jenem Jahr waren es sechs –, und dies war der schwerste Angriff, den es je vonseiten pakistanischer Kämpfer gegeben hatte.
An jedem Eid-Fest opfern wir gewöhnlich Tiere wie Ziegen oder Schafe. Aber Fazlullah sagte, »an diesem Eid werden zweibeinige Tiere geopfert«.
Wir sollten bald sehen, was er damit meinte. Im Swat töteten Fazlullahs Männer Khans und politische Aktivisten, die weltlichen und nationalistischen Parteien – vor allem der Awami National Party ( ANP ) , der paschtunischen nationalistischen Partei – angehörten. Im Januar 2007 wurde ein guter Freund meines Vaters eines Abends von 80 maskierten Bewaffneten entführt. Sein Name war Malak Bakht Baidar. Er entstammte einer reichen Khan-Familie und war der dortige Vizepräsident der ANP . Seinen Leichnam luden sie auf dem Friedhof seiner Vorfahren ab, wo man ihn später fand. Man hatte ihm Arme und Beine gebrochen. Es war der erste gezielte Mord im Swat, und man sagte, der Mann sei getötet worden, weil er der Armee geholfen hatte, Taliban-Verstecke aufzuspüren.
Die Regierungsbehörden schauten bei alledem weg. Unsere Provinzregierung wurde noch immer von den Mullah-Parteien gebildet, sie tadelte niemanden, der behauptete, für den Islam zu kämpfen. Ich bekam allmählich Angst. Anfangs hatten wir geglaubt, in Mingora seien wir sicher. Aber Fazlullahs Hauptquartier war nur wenige Kilometer entfernt, und auch wenn die Taliban nicht in der Nähe unseres Hauses waren, so waren sie doch auf den Märkten, auf den Straßen und in den Bergen. Die Gefahr rückte immer näher.
Während des Eid-Festes fuhren wir wie immer ins Dorf unserer Familie, dieses Mal nahm uns mein Vetter in seinem Auto mit. Wir durchfuhren einen Fluss, da die Straße weggespült worden war, und wurden von einer Taliban-Kontrolle angehalten. Ich saß mit meiner Mutter hinten im Wagen. Mein Vetter gab uns schnell seine Musikkassetten, damit wir sie in unseren Handtaschen versteckten und man sie nicht finden konnte. Die Taliban, jetzt auch schwarz gekleidet, trugen Kalaschnikows bei sich. Sie sagten zu meiner Mutter und mir: »Schwestern, ihr bringt Schande über euch, ihr müsst Burkas tragen.«
Als wir nach den Eid-Festlichkeiten wieder in die
Weitere Kostenlose Bücher