Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
bloßen Begriffe sind wie Über-Ich, Ich und Es … sondern phänomenologische Realitäten.» [5] Der jeweilige Ich-Zustand wird herbeigeführt durch die Wiedergabe von gespeicherten Informationen, die ein vergangenes Ereignis «zu Protokoll» gegeben hat und an dem wirkliche Menschen, wirkliche Zeiten, wirkliche Orte, wirkliche Entscheidungen und wirkliche Empfindungen beteiligt sind.
Das Eltern-Ich
Das Eltern-Ich ist eine ungeheure Sammlung von Aufzeichnungen im Gehirn über ungeprüft hingenommene oder aufgezwungene äußere Ereignisse, die ein Mensch in seiner frühen Kindheit wahrgenommen hat. Diese Periode umfasst etwa die ersten fünf oder sechs Lebensjahre. Das ist die Periode vor der sozialen Geburt des Individuums, bevor es mit den Anforderungen der Gesellschaft konfrontiert wird, den Kreis der Familie überschreitet und in die Schule eintritt (Abb. 2). Das Wort Eltern-Ich trifft diesen Sachverhalt insofern gut, als die wichtigsten Aufzeichnungen durch das Beispiel und durch Äußerungen der eigenen wirklichen Eltern oder Elternvertreter zustande kommen. Alles, was ein Kind seine Eltern tun sah und sagen hörte, ist im Eltern-Ich aufbewahrt. Jeder hat ein Eltern-Ich, weil jeder in den ersten fünf bis sechs Lebensjahren äußere Reize empfangen hat. Das Eltern-Ich ist bei jedem Menschen eigenständig, weil es die Aufzeichnung derjenigen Kombination von Früherfahrungen ist, die nur dieser Mensch in dieser Form erlebt hat.
Abb. 2
Das Eltern-Ich
Das Tatsachenmaterial im Eltern-Ich wird original aufgenommen und ohne Korrektur registriert. Die Situation des kleinen Kindes, seine Abhängigkeit und seine Unfähigkeit, mit sprachlichen Mitteln Sinnzusammenhänge herzustellen, machen es ihm unmöglich, zu modifizieren, zu korrigieren oder zu erklären. Wenn daher die Eltern feindselig sind und ständig miteinander im Kriegszustand leben, wird ein Kampf aufgezeichnet mitsamt dem Schrecken, der das Kind erfasst, wenn es sieht, wie zwei Menschen einander fast zerstören, von denen sein Weiterleben abhängt. Es gibt keine Möglichkeit, in diese Aufzeichnung die Tatsache einzublenden, dass der Vater betrunken ist, weil er gerade Pleite gemacht hat, oder dass die Mutter völlig am Ende ist, weil sie gerade entdeckt hat, dass sie doch wieder schwanger ist.
Im Eltern-Ich sind alle Ermahnungen und Regeln, alle Gebote und Verbote aufgezeichnet, die ein Kind von seinen Eltern zu hören bekommen hat oder von ihrer eigenen Lebensführung ablesen konnte. Sie reichen von den frühesten elterlichen Äußerungen, die nicht sprachlich, sondern durch den Klang der Stimme, durch den Gesichtsausdruck, durch Liebkosungen oder durch ihr Fehlen ausgedrückt werden, bis zu den zunehmend komplizierten Regeln und Vorschriften, die von den Eltern ausgesprochen werden, sobald der kleine Mensch Worte verstehen kann. In diesen Aufzeichnungen sind all die tausend «Neins» enthalten, die auf das Krabbelkind niederregnen, das ewige «Das darfst du nicht», die entsetzten und leidenden Blicke der Mutter, wenn das Kind durch seine Ungeschicklichkeit Schmach über die Familie brachte in Form von Tante Ediths zerbrochener antiker Vase.
Ebenso sind die Koseworte einer glücklichen Mutter und die frohen Blicke eines stolzen Vaters aufgezeichnet. Wenn wir bedenken, dass dieser Empfänger ständig eingeschaltet ist, fangen wir an, die ungeheure Materialmenge zu begreifen, die im Eltern-Ich gesammelt ist. Später kommen die noch komplizierteren Aussprüche: Sag immer die Wahrheit! Bezahle deine Rechnungen! Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Ein braver Junge isst seinen Teller leer. Verschwendung ist die erste aller Sünden. Trau niemals einem Mann! Trau niemals einer Frau! Was man auch tut, es ist immer verkehrt! Trau keinem Polizisten! Sich regen bringt Segen. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Wer nicht betrügt, der wird betrogen.
Der entscheidende Punkt ist, dass diese Regeln, ob sie nun im Lichte einer vernünftigen Ethik gut oder schlecht sein mögen, als
Wahrheit
aufgezeichnet werden, die aus der Quelle aller Sicherheit kommt, von den «großen Leuten», denen das kleine Kindchen zu dieser Zeit gefallen und gehorchen muss. Die Aufzeichnung bleibt dieselbe. Niemand kann sie löschen. Ein ganzes Leben lang steht sie für die Wiedergabe zur Verfügung.
Diese Wiedergabe übt einen mächtigen Einfluss aus auf das ganze Leben bis zum Ende.
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