Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
Mutter und Vater. Ein Dreijähriger, der täglich stundenlang vor dem Fernseher sitzt, zeichnet auf, was er sieht: Das Programm, von dem er sich berieseln lässt, «programmiert» ihn für eine bestimmte Lebenshaltung. Wenn er brutale Sendungen sieht, dann glaube ich, dass er in seinem Eltern-Ich Brutalität registriert: So ist es, so ist das Leben! Zu dieser Folgerung muss er kommen, wenn die Eltern nichts dagegen tun, indem sie auf ein anderes Programm umschalten. Wenn aber auch seine Eltern gewaltstrotzende Filme genüsslich anschauen, bekommt der Kleine eine doppelte Bestätigung – vom Bildschirm und von der Familie –, und er nimmt an, dass Gewalttätigkeit erlaubt ist, solange man nur die erforderliche Anzahl von Ungerechtigkeiten zusammenbringt. Der kleine Mensch sammelt seine eigenen Gründe dafür, alles zusammenzuschießen, genau wie der Sheriff; drei Nächte mit Viehdiebstahl, ein Überfall auf die Postkutsche und ein Fremder, der Miss Kitty belästigt – solche Ereignisse können in anderer Form auch im Leben des Kindes vorkommen. Vieles, was ein Kind von seiten älterer Geschwister oder anderer Autoritätsfiguren erfährt, ist ebenfalls im Eltern-Ich aufgezeichnet. Jede äußere Situation, in der sich der kleine Mensch so abhängig fühlt, dass er sie nicht mehr in Frage stellen oder sich begreiflich machen kann, gerinnt zu Erlebnisinhalten, die im Eltern-Ich gespeichert werden. (Es gibt eine andere Art äußerer Erfahrung beim sehr kleinen Kind, die nicht im Eltern-Ich registriert wird und die wir bei der Beschreibung des Erwachsenen-Ichs untersuchen werden.)
Das Kindheits-Ich
Während äußere Ereignisse als die Datenkombination registriert werden, die wir als Eltern-Ich bezeichnen, erfolgt gleichzeitig eine andere Aufzeichnung, die nun
innere
Ereignisse erfasst: nämlich die Reaktionen des kleinen Menschen auf das, was er sieht und hört (Abb. 3). In diesem Zusammenhang müssen wir uns an Penfields Beobachtung erinnern.
Abb. 3
Das Kindheits-Ich
«Der Patient empfindet wieder die Emotion, die die ursprüngliche Situation in ihm erregt hatte, und er ist sich der gleichen Sinndeutung bewusst, die er selbst zuerst dem Erlebnis gegeben hatte. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Sinndeutung den Tatsachen entsprach oder nicht. Darum ist hervorgerufene Erinnerung nicht die genaue fotografische oder phonographische Reproduktion vergangener Szenen oder Ereignisse, sondern die Reproduktion dessen,
was der Patient sowohl gesehen und gehört als auch gefühlt und verstanden hat
.»
Diese Datenkombination aus Gesehenem, Gehörtem, Gefühltem und Verstandenem definieren wir als Kindheits-Ich. Da der kleine Mensch während seiner folgenreichsten Früherlebnisse noch über keinerlei sprachliche Mittel verfügt, bestehen die meisten seiner Reaktionen aus
Gefühlen
. Wir müssen uns in seine Situation während dieser frühen Jahre hineindenken. Er ist klein, er ist abhängig, er ist noch ganz dumm, er ist ungeschickt, er hat keine Worte, mit denen er Zusammenhänge erfassen könnte. Der amerikanische Dichterphilosoph Ralph Waldo Emerson (1803–1882) sagt, wir «müssen wissen, wie ein verdrießlicher Blick einzuschätzen ist». Ein Kind kann das noch nicht wissen. Ein ärgerlicher Blick in seine Richtung kann bei ihm nur Gefühle erzeugen, die seinen Bestand an negativen Daten über sich selbst vergrößern.
Es ist mein Fehler. Schon wieder. So ist es immer. So wird es immer sein. Das hört nie auf.
In dieser Zeit der Hilflosigkeit werden unendlich viele totale und unnachgiebige Forderungen an das Kind gestellt. Einerseits hat es den genetisch einprogrammierten Drang, seinen Darm zu entleeren, wann immer es so weit ist, den Drang, alles zu erkunden und kennenzulernen, auf alles Mögliche draufzuhauen, überall zu ziehen und zu bohren, seine Gefühle auszudrücken und all die angenehmen Empfindungen zu erleben, die mit Bewegung und Entdeckung zusammenhängen. Auf der anderen Seite steht die ständige Forderung der Umwelt, vor allem der Eltern, auf diese Urbefriedigung zu verzichten, um dafür mit der elterlichen Anerkennung belohnt zu werden. Diese Anerkennung, die so schnell entzogen werden kann, wie sie gespendet worden ist, bedeutet für das Kind, das noch keinen bestimmten Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung sieht, ein unbegreifliches Geheimnis.
Überhaupt ist die Erziehung als langwieriger Sozialisierungsprozess mit unzähligen großen und kleinen Frustrationserlebnissen verbunden, die
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