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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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hier liegen, bis es Frühling wird, du Lebensopfer." Der Wurm bemerkt natürlich auch meine vorweihnachtliche Angespanntheit, aber da er einer dieser provokanten Arschlochwürmer ist, bleibt er einfach liegen und pfeift weiter schlechte Rockmusik, jetzt etwas lauter und irgendwas von Scooter. Der Wurm hat einen total fehlgeleiteten Musikgeschmack. Kackwurm.
    Ich muss mir was überlegen. Einfach drauftreten und das Wurmding unter meiner Schuhsohle zerreiben ziehe ich aber nicht in Erwägung, das wäre wieder so ein blödes Machtspielchen Mensch gegen Tier, und auf dieses Niveau will ich mich einfach nicht herablassen. Dann überlege ich kurz, dem Wurm eine von meinen Zigaretten anzubieten, um ihn vielleicht milde zu stimmen, aber wer weiß, ob der Wurm überhaupt raucht und nicht vielleicht noch böser wird, wenn ich ihn mit einer meiner Zigaretten belästige. Ich frage trotzdem: "Zigarette?" Der Wurm schweigt kurz und schüttelt den Kopf oder den Arsch, das kann ich nicht genau erkennen. Beide Wurmenden bewegen sich ganz kurz, also Arsch und Kopf. Das Wurmgesindel bleibt aber an Ort und Stelle, meine Zigaretten bleiben in der Schachtel.
    Vielleicht sollte ich ihm ein wenig Angst machen mit meinem Feuerzeug. Einfach mal so kurz vor seinem blöden Wurmgesicht eine Flamme machen, ihm einfach nur ein wenig Angst machen, nur ganz kurz demonstrieren, dass ich in meiner Funktion als Mensch doch wohl die besseren Karten habe. Ich zeige ihm erstmal das Feuerzeug, vielleicht kennt er so was ja, vielleicht hat er ja Erfahrung mit solchen Dingen. Er stimmt aber pfeifend ein neues Lied an, und ich erkenne eine ganz neue Seite an ihm. Er pfeift was von Madonna, ich glaube es ist "Like a virgin"; ein Emowurm - auch das noch. Das Feuerzeug interessiert den Wurm nicht, ich lege es direkt vor ihn hin, bin mir aber auf einmal nicht mehr sicher, ob ich das Feuerzeug nicht zufällig seinem Arsch zeige, und so zeige ich das Feuerzeug auch noch der anderen Seite des Wurms. Unbeeindruckt verweilt er. "... like a virgin touched for the very first time ...", er pfeift dieses blöde Lied und treibt mich damit auf die A 666, die Autobahn Richtung purem Hass.
    "Wurm, du willst doch sicher nicht, dass dir was geschieht, oder?" Das soll so eine Art Drohung sein, aber es ist schwierig einem total impertinenten Regenwurm zu drohen, der dabei auch noch Madonna pfeift. Haben Sie schon mal jemandem gedroht, der Madonna pfeift? Das ist doch wie Mutter Teresa verprügeln. Geht gar nicht, macht man nicht so was. Der Wurm liegt da, es interessiert ihn nicht die Bohne, was ich ihm erzähle. Das gibt meinem Wahnsinn erneut etwas Futter. Ich bücke mich wieder zu ihm runter und lasse aus dem Feuerzeug etwas Gas austreten, achte aber darauf, dass mich keiner der Leute hier auf dem Parkplatz sieht. Nicht, dass da gleich so'n Kind rumschreit: "Mama, der Mann da vergast einen Regenwurm!" Dann ist man hier auf dem Vorhof zu Aldi aber das Komplettarschloch.
    Ich liege vor dem Wurm, Leute gehen vorbei, gucken komisch. Ich lasse Gas ausströmen, abwechselnd in den Wurmkopf und den Wurmarsch, irgendwie wird er doch die Gefahr bemerken, die von mir ausgeht. Ich will, dass er weiß, dass ich es ernst meine. Kackwurm. Das Gasgeballer scheint den Wurm zunächst nicht zu beeindrucken. Nicht nur zunächst nicht, sondern überhaupt nicht. Arschlochwurm. Der Wurm pfeift jetzt ein Lied von den Beatles. Eins von John Lennon: "... all we are saying is give peace a chance ..." Ich fühle mich erkannt, gedemütigt und total mies. Ich bin doch nur ein junger Mann auf dem Parkplatz bei Aldi, der nur etwas Gemüse kaufen will. Ich bin verzweifelt. Der Wurm bleibt. Vielleicht sollte ich einfach gehen. Aber diese Blöße will ich mir nicht geben. Dem Wurm fällt immer noch die Beatles-Nummer aus dem Gesicht. Er ist an Coolness kaum zu überbieten. Das imponiert mir. "Ok, Wurm", sage ich, "du bist der coolste Regenwurm der Welt. Mach doch, was du willst."
    Ich bleibe bei ihm sitzen. Es regnet. Ich sehe, wie Aldi gerade schließt. Die Lampen im Supermarkt verdunkeln sich, vor mir sitzt ein Regenwurm mit multiplem Musikgeschmack. Unbeugsam, widerstandsfähig. Kampfbereit erscheinend. Ich habe verloren. Gegen diesen einen Wurm.
    Es wird Nacht und ich erzähle dem Wurm aus meinem Leben und er pfeift dazu einige Lieder, unter anderem auch Songs von Johnny Cash. Ich habe noch eine Dose Bier im Auto, fällt mir ein. Die hole ich, biete sie dem Wurm an. Er reagiert schon wieder nicht, ich

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