Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
trinke allein - was für eine arrogante Mistsau. Irgendwann schlafe ich ein.
Als ich am nächsten Morgen erwache, ist der Wurm weg, nur ein kleiner Zettel liegt da, auf dem noch kleiner zu lesen ist: "Danke für den netten Abend, und du brauchst echt mal einen Arzt, Alter." Wahrscheinlich hat er recht, aber fürs Erste ist er aus meinem Blickfeld verschwunden und somit bin ich der Sieger - Sieger durch die Erhabenheit meiner Geduld.
Ich stehe auf und schaue an meiner ranzigen, durchregneten und klammen Bekleidung runter, um festzustellen, ob ich den Regenwurm nicht vielleicht doch unabsichtlich im Schlaf getötet habe, einfach durch Umwälzung meines Körpers. Keine Spur von ihm, und auch unter meinen Schuhen keinerlei Anzeichen von unabsichtlichem Mord.
Ein Lächeln kommt geflogen und setzt sich in mein Gesicht. Ich stelle fest, mich durchgesetzt zu haben, und auch, dass man den Coolnessgrad von Regenwürmern nicht an deren Musikgeschmack festmachen sollte, zumindest nicht ausschließlich.
Ich betrete motherfucking Aldi, das Personal macht einen ebenso müden Eindruck wie ich, obwohl die wohl alle nicht draußen auf dem Parkplatz geschlafen haben. Obwohl, wer weiß, vielleicht werden diese Aldikaputtheiten auch in einer Scheune hinter dem Ladengebäude gezüchtet. Ich kaufe Broccoli, Himbeeren, eine Ananas, ein Brot und frischen Basilikum und Tomaten. Ich bin glücklich.
Vier Tage später sitze ich zu Hause und gucke eine Tierdokumentation im Fernsehen. Es geht um Ameisenbären und deren Paarungsverhalten. Die Geschlechtsreife erreicht der gemeine Ameisenbär mit etwa drei bis vier Jahren. Die Paarungszeit erstreckt sich im Allgemeinen meist über das Frühjahr oder die Regenzeit. Die Männchen begatten meistens mehrere Weibchen und haben mit der folgenden Schwangerschaft und der Aufzucht des Nachwuchses nichts mehr zu tun. Um den Nachwuchs kümmert sich ausschließlich die Mutter. Hat sich ein Pärchen gefunden, so kommt es zur eigentlichen Kopulation. Dazu legt sich das Weibchen entspannt und willig auf die Seite und das Männchen dringt mit seinem Begattungsorgan in das Weibchen ein. Kurz nach der Paarung trennen sich die Geschlechter. Ich glaube, wäre ich jetzt Evolutionscommander Gott und würde am Beispiel des Ameisenbären auch das menschliche Sexual- und Familienverhalten freigeben, achtzig Prozent der Männer würden sagen: "Bin ich dabei!" Ich genieße die Ruhe, die dieser Beitrag mit sich führt. Ameisenbären sind entspannte Leute.
Plötzlich brennt sich was Schrilles in die Gemütlichkeit. Das Telefon klingelt, ich nehme ab und sage nur "Hallo", und der Wurm ist dran, der von vor vier Tagen. Er spricht wie nach fünf Nasen Kokain, schnell und konsonantenbetont.
Fast hyperventilierend. Er fragt mich, ob wir uns nicht mal wieder auf ein Bier bei Aldi sehen könnten. Ich habe dem Wurm wohl in dieser einen Nacht meine Telefonnummer gegeben. Im Hintergrund läuft irgendwas von Slayer, ich glaube, es ist deren Livealbum "Decade of Aggression", und der Wurm muss schreien, damit ich ihn überhaupt verstehe. Ein Bier? Ein Regenwurm? Ein Aldi? Es geht mir nicht gut, ich lehne ab.
Der Campingstuhl
Melissa hat unter ihrem kurzen Arm, quasi in der Armbeuge, einen zusammengeklappten Campingstuhl eingeklemmt, als sie neben ihrer Mutter nach Hausfrauenart das Möbelhaus für halbwegs moderne Menschen verlässt. Der Campingklappstuhl ist noch von einer durchsichtigen Folie umhüllt, welche die Neuheit dieses mobilen Sitzmöbels zu bestätigen weiß. Es ist Melissas erstes eigenes Möbelstück, dieser Campingstuhl, und der klemmt da unter ihrer Armbeuge und fühlt sich gut an, so eigen, so neunundzwanzig Euro fünfundneunzig, so Klappstuhl, so oranger Stoffbezug, so fühlt er sich an, der erste eigene Klappstuhl. Melissa lächelt, die Mutter ist ein wenig in Sorge, typisch Mutter halt.
Melissa macht nächstes Jahr Abitur. Sie sagt ihrer Mutter, dass sie Tierärztin werden will, und das findet die Mutter natürlich toll, so eine Tochter zu haben mit Tierärztinnenberufswunsch. Das klingt nach eigener, gut riechender Praxis mit vom Leben verwöhnten Menschen in parfümierten Wartezimmern, die den Rassedackel gesund haben wollen, weil Gustav, der Rassedackel, der humpelt so komisch und er frisst auch nicht mehr, daher soll er zur Krebsvorsorge, weil man sich um ihn sorgt. Melissa, ja die Melissa erledigt das dann, und die Mutter sitzt nach Hausfrauenart derweil zu Hause und strickt hässliche Pullover für ihren
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