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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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auszuhalten, auch ihr Zuhause ist geprägt von allerlei unerklärlicher Fremderwartung. Die beiden fühlen aber eine Freiheit, jetzt, die Jetztzeit und sie fühlen ihr Richtigsein in diesem Auto, einem kleinen roten Opel Corsa, vollgepackt mit Campingkram, Alkohol und Sommermädchenbekleidungsdingen.
    Im Radio läuft "Seven Nation Army" von den White Stripes und gefällt den beiden Mädels, die dieses Lied würdigend im Sitzen mittanzen. Das Riff ist eins der tanzbarsten, selbst sitzend fühlt man sich von diesem Lied zum Mitgrooven verpflichtet. Die beiden Mädchen beginnen ein Gespräch und erzählen sich ihre Wünsche, was auf so einem Musikfestival zu erleben sei. Pogo, Saufen, Knutschen und sich von irgendwelchen Typen intim befummeln lassen, das gehört zur Rock'n'Roll-Strategie der beiden 18-jährigen Mädchen. Vielleicht irgendwas mit Drogen ausprobieren, Drogen, die einen die Welt ganz unkritisch gut finden lassen, auch wenn da ein Druck auf den Mädchenschultern sitzt, den Mütter da hingerammt haben. Charlotte und Melissa reden noch über ihre Mütter und müssen lachen, und dann lacht Charlotte Melissas Campingstuhl aus und Melissa sagt: "Nein, das Ding ist wertvoll, es verbindet mich und meine Mutter. Weißt du, das Ding ist so was wie ein heiliges Band. Am einen Ende steht die Tradition meiner Mutter und am anderen Ende des Bandes stehe ich, vielmehr sitze ich als ultimativ Gerockte auf diesem Stuhl und betrachte das Universum. Verstehst du?" Charlotte lacht. "Ey, setz dich doch wie alle auf den Boden, Lissa. Ein Klappstuhl ist doch was für Omas, für Gescheiterte, für Leute, die ihre Joghurts umrühren, für Weiber, die keine Tennisbälle in ihre Pussys kriegen. Der Stuhl ist kacke." Melissa wendet ihren Blick nach draußen und denkt einfach, weiß einfach um die Unreife Charlottes, die nicht die Wichtigkeit des Stuhls anzuerkennen vermag. Das unterscheidet Mädchen von Frauen, denkt sie noch und schnell ist das Gespräch wieder bei einer Band angelangt, die auf einer Bühne des angestrebten Festivals zugegen sein wird. Lobeshymnen über Sängergesichter und Gitarristenfinger. "Ey, so 'ne Schlagzeugerfaust in meiner Pussy, das beschleunigt bestimmt jede Orgasmuswelle. Und wenn er dann noch einen Breakbeat klickt ..." Charlotte ist angetan von ihrer eigenen Fantasie. Schlagzeuger sollen sich in ihrer Pussy aufhalten, und Bassisten und Sänger mit langen Haaren einen Reigen um sie tanzen. Im Radio laufen die "Beatsteaks" und schmecken beiden, obwohl sie seit zwei Alben ziemlich englisch, also nur halbgar, erscheinen (Anm. d. Verf.) "... and I don't care as long as you sing ..." Die beiden Mädels stimmen ein Duett an und irgendwann sind es nur noch dreißig Kilometer, und da gibt es schon einen kleinen Stau, in dem man rockende Menschen in mit rockenden Aufklebern beklebten alten Fahrzeugen bewundern kann, und alle haben eine Laune, die irgendwas mit Losgelöstheit von der Schwere des Alltags zu tun hat. Man sieht Mädchengesichter, die alle im Lolita-Style daherkommen und lächeln, als wären sie Sonnensysteme, und Typen mit und ohne Kinnbart, die in die Shirts ihrer Lieblingsemokapellen eingerollt sind. Das wilde Leben schreit. Es zieht die Kinder zum Festivalgelände. Im Takt werden Bierdosen geöffnet. Heruntergekurbelte Fensterscheiben geben Musikgeschmäcker preis. Charlotte und Melissa voller Vorfreude und vor allem: mittendrin.
    Zwei Stunden später haben die beiden Mädchen ihr Igluzelt aufgebaut, in das sie nun Bier und Anziehsachen stecken. Dann stehen sie vor dem Zelt und prosten sich mit Bierdosen zu, und schon werden sie von zwei Typen angesprochen, die zufällig auf dem Gehweg entlangstolperten. Beide haben sich schon heftig am Alkohol gelabt und der eine, der sich als Jens vorstellt, fragt die Mädchen, ob es was zu kiffen gäbe, und der andere, der sich als Tim vorstellt, hat Probleme damit, im Stehen nicht umzufallen. Angst davor scheint er aber nicht zu haben, der Tim. Einige Meter weiter wird jemand namens "Helga" vermisst, einige hundert Meter weiter auch. Wer nennt denn heute noch Kinder "Helga", fragt sich Melissa und holt ihre Luftmatratze aus dem Zelt, auf der sich Tim und Jens niederlassen.
    Weitere Biere folgen, irgendwann kommt sogar ein Joint ins Spiel. Woher, das weiß nach so vielen Bieren dann auch keiner mehr, und irgendwann sitzt Melissa in ihrem Klappstuhl und ist froh, ein so stark rockendes Leben ihr Eigen nennen zu können, und um sie herum hocken ungefähr zehn

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